Giftiges aus Polens rechter Ecke
Die Bevölkerung trauert nach der Tragödie von Smolensk, die Konservativen verschießen schon wieder politische Pfeile
Was nach Beteuerungen und Mahnungen aller prominenten Vertreter der polnischen Gesellschaft nicht hätte sein dürfen, ist bereits am Montag eingetreten. Artur Górski, Abgeordneter der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), beschuldigte in der Tageszeitung »Nasz Dziennik« nicht nur Russland wegen »Verdunkelung der Katastrophenursachen«. Darüber hinaus griff er auch die regierende Bürgerplattform (PO) scharf an: Sie marschiere nun in Richtung totalitärer Macht.
Pater Rydzyk, der geistliche Direktor von »Radio Maryja«, zugleich Inhaber eines Pressekonzerns, zu dem auch der nationalistisch-klerikale »Nasz Dziennik« gehört, gab den Ton an: »Den Gegnern der Wahrheit kommt es zupass, wenn wir tief gerührt verharren, während sie ihre Macht ausbauen und all das, was für die Menschen, für den Sieg der Wahrheit, für die Liebe und das Vaterland ungut ist.«
Die »Trauernummer« dieser Tageszeitung enthält mehrere Texte, die den Willen zur stillen Einkehr ins Menschliche, den viele Polen unmittelbar nach der Tragödie zum Ausdruck gebracht hatten, sehr in Frage stellen. Drei dieser Beiträge sind eine kurze Schilderung wert. Unter dem Titel »Werden wir die Wahrheit erfahren?« spekuliert Krzysztof Losz, ob der Flugzeugabsturz in Smolensk nicht die Folge eines Attentats war. Unter diversen Ursachen dürfe man diese Version nicht ausschließen, was selbstverständlich keinesfalls bedeute, dass sie zutrifft.
»Ich klage Moskau an« ist das Interview mit dem PiS-Abgeordneten Artur Górski überschrieben. Er sei fast sicher, dass die Russen verdunkeln, sagt der Vertreter der Kaczynski-Partei. Ja, Russland sei in gewissem Sinne verantwortlich für dieses »neue Katyn«. Es sei im Übrigen unwahr, dass die ganze Nation »über den Verlust seiner Elite« in Trauer versinke. »Da wird es schon welche geben, die daraus ihren Vorteil ziehen wollen.« Bald werde sich Polen in einer Situation der Diktatur einer Partei befinden – »wie im Kommunismus oder jetzt in Russland«. Man sehe schon, wie die PO, den äußeren Schein wahrend, »aufs Ganze geht und wie sie es ohne Klasse tut«. Obwohl es Lech Kaczynski nicht mehr gebe, der im Herbst bestimmt wiedergewählt worden wäre, habe die PiS auch andere Kandidaten. Górski nannte Parteichef Jaroslaw Kaczynski, Lechs Zwillingsbruder, und Zbigniew Ziobro, den ehemaligen Justizminister. Die Katastrophe gebe der Partei neue Kräfte, versicherte Górski siegesgewiss.
Professor Zdzislaw Krasnodebski von der katholischen Wyszynski-Universität in Warschau verglich das Unglück von Smolensk mit der Katastrophe bei Gibraltar, bei der 1943 General Wladyslaw Sikorski, Chef der polnischen Exilregierung, ums Leben kam. Danach hätten Polens Geschicke einen völlig neuen Lauf genommen. So werde auch der Tod Lech Kaczynskis folgenschwere Konsequenzen haben. »Wer wird davon Nutzen haben?« – diese Frage dränge sich geradezu auf. Denn: »Präsident Lech Kaczynski war der neuen Konstellation zwischen den USA, der EU und Russland unbequem.« Das ist jedoch bisher die einzige derartige Stimme.
Derweil berichtete Marcin Wojciechowski, Korrespondent der »Gazeta Wyborcza«, vom Ort der Katastrophe, das Verhalten der Russen nach der Tragödie widerspreche ganz und gar den Thesen jener, die eine Annäherung zwischen Polen und Russland für unmöglich halten. »Ich weiß nicht, was wird«, schrieb Wojciechowski, »aber unter dem Eindruck dessen, was ich in Smolensk gesehen habe, und dessen, wie sich die Behörden in Moskau verhalten, habe ich das Verlangen, von ganzem Herzen zu sagen: Dank euch dafür, Russen!«
Wie aus der Präsidialkanzlei in Warschau verlautete, wurde in Moskau mittlerweile die Leiche Maria Kaczynskas, der Ehefrau des Präsidenten, identifiziert. Kaczynski und seine Frau sollen demnach erst beerdigt werden, wenn alle Opfer der Katastrophe wieder in ihre Heimat übergeführt worden sind.
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