Hat Präsident Kaczynski die Landung befohlen?

Mehr Spekulation als Erkenntnisse zum Absturz der polnischen Maschine bei Smolensk

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Untersuchungen nach Flugzeugabstürzen sind selten problemlos. Beim Absturz der polnischen Präsidentenmaschine nahe dem russischen Smolensk kommen zahlreiche politische Implikationen hinzu. Bis Dienstagabend waren 48 der 96 Opfer identifiziert.

Die Flugschreiber der Tupolew, die am Sonnabend bei Smolensk abgestützt war, sollen spätestens bis Donnerstag ausgewertet werden. Die zwei Rekorder – gestern sprach man sogar von einer dritten Blackbox – seien so gut wie unbeschädigt, teilte der polnische Chefermittler Zbigniew Zepa mit.

Alle 96 Insassen der TU-154M kamen ums Leben. Präsident Lech Kaczynski, seine Ehefrau Maria sowie zahlreiche polnische Spitzenpolitiker und -militärs waren nach Katyn unterwegs, um der von Stalins NKWD erschossenen polnischen Soldaten zu gedenken.

Moskau wie Warschau bemühen sich um maximale Übereinstimmung bei Äußerungen zu den Absturzursachen. Entsprechend zurückhaltend ist man bei Auskünften. Die Maschine sei nach allem, was man weiß, in technisch gutem Zustand gewesen. Das polnische Verteidigungsministerium stellt der Besatzung vom 36. Spezialgeschwader – Major Robert Karol Grzywna, Hauptmann Arkadiusz Protasiuk und Oberleutnant Artur Karol Zietek – beste Zeugnisse aus.

Das Wetter allerdings ließ viele Wünsche offen. Über dem Smolensker Militärflughafen – Codezeichen XUBS – lag dichter Nebel. Es heißt, eine platzkundige IL-76-Besatzung sei eine Stunde vor Ankunft der polnischen Maschinen dem Ratschlag der Fluglotsen gefolgt und nach Moskau zurückgeflogen. Die Landung dort oder im belarussischen Minsk sei auch der polnischen Crew empfohlen worden, nachdem die kleinere polnische Vorausmaschine nicht gerade lehrbuchreif gelandet war. Die TU-154 aber versuchte nach einem dritten erfolglosen Landeanflug einen vierten. Dabei geschah es. Offenbar hatte sich die Besatzung langsam an den Flughafen, der nicht über ein blindflugfähiges Instrumentenlandesystem verfügte, herantasten wollen. Die Maschine streifte Baumwipfel und wurde auseinandergerissen.

Je verschwiegener die Unfallforscher sind, umso mehr Spekulationen entstehen. So fragt man sich, wieso es beim Aufschlag der Maschine nicht zu einem großen Brand gekommen ist. Eigentlich hätten die Tanks noch mit reichlich Kerosin für den Rückflug gefüllt sein müssen.

Es geht das Gerücht um, die Piloten hätten bei ihren Anflugschleifen Sprit abgelassen, weil sie eine Notlandung erwogen. Gab es ein technisches Problem? Man konnte es angeblich bereits beim Start vom Warschauer Flughafen Okecie beobachten. Auf einem Amateurfilm, der die startende TU zeigt, ist unter dem rechten Triebwerk ein Blitz zu sehen. Eine Explosion? Vermutlich nicht, denn der Blitz lässt sich mit dem Aufleuchten eines Antikollisionsspots erklären, der dort seinen Platz hat. Gegen die Notlandungsthese spricht, dass die Triebwerke »bis zum Crash intakt waren«, so der russische Vizepremier Sergej Iwanow gestern. Vier Anflüge sind dennoch ungewöhnlich. Auch daher kursiert das Gerücht, der Pilot sei zur raschen Landung gedrängt worden, weil Kaczynski pünktlich zum Katyn-Gedenken kommen wollte. Ein Politikum: Russlands Führung wollte den konservativen Polen dort eigentlich nicht haben. Der Reise waren komplizierte Verhandlungen vorausgegangen.

Zudem wäre es nicht das erste Mal gewesen, dass der Präsident einen Piloten unter Druck setzte. Kurz nach dem Krieg in Südossetien wollte Kaczynski die Krisenregion besichtigen. Beim Anflug auf Georgien, mit dem sich Kaczynski gegen Russland solidarisierte, widersetzte sich der Pilot der Anweisung, ungeachtet möglicher Gefahren unmittelbar im Konfliktgebiet zu landen. Der Pilot flog einen Flughafen in Aserbaidshan an. Kaczynski warf dem Offizier danach Befehlsverweigerung vor. »Wenn jemand Pilot ist, darf er nicht ängstlich sein«, habe der Staatschef getobt.

Ob sich derartiger Präsidentenübermut bei Smolensk wiederholte, ob der Pilot von Dritten gedrängt wurde oder nur einem Streit aus dem Wege gehen wollte, wird sich, da es keine Überlebenden gibt, kaum mehr feststellen lassen.

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