»Blitzgescheites Judenmädchen«
Potsdamer Fontane-Archiv präsentierte 23 Briefe des Schriftstellers an den Publizisten Gustav Karpeles
Im 75. Jahr seines Bestehens hat sich das Potsdamer Fontane-Archiv ein großes Geschenk gemacht. Weitere 23 Briefe des Schriftstellers fanden den Weg in die Stadt. Billig war es nicht. Insgesamt 100 Seiten Briefe Fontanes an den jüdischen Journalisten Gustav Karpeles wurden im vergangenen Herbst in der Schweiz für einen fünfstelligen Betrag telefonisch ersteigert.
Nach mancherlei Intervention gestatteten die Schweizer Behörden schließlich die zollfreie Ausfuhr des Kulturguts, sagte gestern Archivleiterin Hanna von Wolzogen. Am Freitag um 19 Uhr werden die Schriftstücke der Öffentlichkeit erstmals in der Potsdamer Villa Quandt präsentiert. Um die Weihnachtszeit trafen die Briefe ein.
Die Auktionssumme konnte mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder sowie des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgebracht werden. Es handelt sich um eine Sammlung von »außerordentlichem wissenschaftlichen Wert«, urteilte gestern Kulturministerin Martina Münch (SPD). Die Briefe aus den Jahren 1879 bis 1890 stammten aus einer Zeit, da Fontane begann, sich als Romanschriftsteller zu etablieren. »Fontane fand in dem fast 30 Jahre jüngeren Literaturhistoriker und Publizisten Karpeles einen ebenso aufmerksamen wie aufgeschlossenen literarischen Gesprächspartner, mit dem er seine literarischen Projekte besprechen konnte.«
Die Debatten trugen mitunter den Charakter des literaturwissenschaftlichen Streitgesprächs, wenn etwa Fontane auf einer bestimmten Häufung des Wortes »und« in seinem Werk bestand: »Ich bilde mir ein, ein Stilist zu sein.« Allerdings bietet die Erwerbung auch Einblick in eine erhebliche Entwicklung Fontanes, der als älterer Mann zunehmend Positionen eines intellektuellen Antisemitismus übernahm.
Der Vorgang fällt in eine Zeit, als die Ablehnung der Juden in der preußischen Oberschicht schon mehr als eine Mode war. Der evangelische Oberhofprediger Adolf Stöcker – er war Erzieher der preußischen Prinzen – hatte die Christsoziale Arbeiterpartei gegründet. Es handelte sich um die erste politische Partei der Neuzeit in Deutschland, bei der Antisemitismus Programm war. Der damals renommierte Historiker Heinrich von Treitschke, nach dem eine Straße in Berlin-Steglitz benannt ist, erfand die griffige Parole: »Die Juden sind unser Unglück.«
Von dieser Tendenz seiner Gegenwart war Fontane nicht ausgenommen und seine Haltung zum Judentum habe sich »nicht zum Guten entwickelt«, merkte Ministerin Münch an. Archivleiterin von Wolzogen bestritt jedoch entschieden, dass es sich bei Fontane um einen bekennenden Antisemiten gehandelt habe. Wenn dieser an einer Stelle von einem »blitzgescheiten Judenmädchen« gesprochen habe, dann sei das positiv gemeint gewesen. Der Abbruch des Briefwechsels sei nicht unbedingt Ausdruck der Verstimmung zwischen beiden Männern gewesen. »Andere konnten ihm mehr bieten.«
Die Antworten des jüdischen Publizisten sind nicht überliefert. Fontane hat sie möglicherweise beseitigt – bis auf eine Ausnahme, die gestern ebenfalls präsentiert wurde. Ein Briefblatt Karpeles wurde vom Dichter auf der anderen Seite neu beschrieben. Dieses Blatt überlebte.
Rund 80 Prozent aller bekannten Fontane-Briefe lagern jetzt im Potsdamer Fontane-Archiv. Man sei jenen, die sich noch im Privatbesitz befinden, »auf der Spur«, versicherte die Leiterin. Andere Briefe verwahre die Staatsbibliothek oder die Humboldt-Universität.
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