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Grundstein für Geschichtspark gelegt
220 000 Euro Fördergeld für Erinnerung an die Opfer des KZ-Außenlagers Klinkerwerk
Vater und Sohn angeln seelenruhig im Hafenbecken des Oder-Havel-Kanals. Kein guter Fang heute. Beim Bau dieses Hafens im KZ-Außenlager Klinkerwerk kamen in den Jahren 1939 und 1940 Hunderte Häftlinge zu Tode. Im Januar 1945 kippte die SS neun Tonnen Menschenasche aus den Krematorien in den Kanal. Das steht auf Tafeln hinter den Anglern.
65 Jahre nach der Befreiung des KZ Sachsenhausen hat am Montag eine neue Etappe der Erinnerungsarbeit im Klinkerwerk begonnen. Die Stadt Oranienburg erhielt von der rot-roten Landesregierung eine Förderung von 220 000 Euro aus dem Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der DDR. Der Grundstein für den »Geschichtspark Klinkerwerk« wurde mit zehn Jahren Verzögerung gelegt.
Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten will mit dem Geld fünf gläserne Informationsstelen errichten. Dazu soll ein Gestaltungswettbewerb für den Hafenbereich ausgeschrieben und die bisherige Dokumentation vom Hafen an den Schießplatz verlagert werden. Für Stiftungsdirektor Günter Morsch und die Generalsekretärin des Internationalen Sachsenhausen-Komitees, Sonja Reichert, ist dieser Tag ein Schritt zum »Fernziel Geschichtspark Klinkerwerk«. Schon 1997 hatten sich Stadt, Land und die anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe Klinkerwerk auf eine Konzeption geeinigt. Im Jahr 2000 folgte ein mit zwei Millionen Euro veranschlagter Umsetzungsentwurf. Doch dieser sei für das Land »derzeit kein Thema«, sagt Antje Grabley vom Kulturministerium.
Das frühere KZ-Außenlager Klinkerwerk liegt am Rand von Oranienburg, nördlich von Berlin und nicht weit vom Hauptlager Sachsenhausen entfernt. Der SS diente es nicht nur als Mordstätte zur »Vernichtung durch Arbeit«. Es war auch als weltweit größte Fabrik zur Herstellung von Ziegeln geplant, die bei dem von Albrecht Speer geplanten Umbau Berlins zur Hauptstadt des »Großgermanischen Reiches« gebraucht wurden.
Zu den Opfern dieser Gigantomanie zählten im Klinkerwerk vor allem Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, jüdische und polnische Häftlinge sowie Homosexuelle. Ab 1936 mussten die Inhaftierten das Areal bebauen. 1941 entstand, mit vielen Toten im sumpfigen Erlengrund, ein eigenes Häftlingslager. Eine Brotfabrik wurde bis 1991 weiter genutzt.
Ab 1942 wurden im Klinkerwerk auch Granaten produziert. Im Sommer des gleichen Jahres kamen bei einer Mordaktion rund 200 Rosa-Winkel-Häftlinge ums Leben. Bei einem alliierten Luftangriff am 10. April 1945 starben nochmals Hunderte Häftlinge. Sie blieben in den Bombentrichtern oder im Kanal.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Teile des Gebietes militärisch genutzt. Eine Gedenktafel wurde außerhalb des Geländes aufgestellt. Oranienburgs Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke (SPD) sagt trotzdem: »Es gab kein Klinkerwerk mehr im öffentlichen Bewusstsein der Stadt.« So konnte sich 1991 am Hafen ein Betonwerk ansiedeln, ehe Forscher und Überlebende die Geschichte wachriefen. Es folgten bis 1998 erste Zeichen der Erinnerung. Komplizierte Eigentumsverhältnisse, Munitionsbelastung sowie fehlender politischer Rückhalt brachten die Aufarbeitung vor Ort zum Stillstand. Weite Teile des 60 Hektar großen Geländes sind überwuchert, im Unterholz Ziegelreste und Fundamente.
Der im Dezember gestorbene Präsident des Sachsenhausen-Komitees, Pierre Gouffault, prangerte beim Gedenktag vor Jahresfrist an, dass das Vertrauen aller Opfer und Hinterbliebenen über lange Jahre »auf schändliche Weise enttäuscht wurde«. Die Rede sorgte für eine heftige Debatte – und für einen Neubeginn.
Eberhard Zastrau vom Berliner Lesben- und Schwulenverband sieht im Klinkerwerk den zentralen Erinnerungsort für verfolgte Homosexuelle in der Nazizeit. Auch er hofft nun auf eine allmähliche Entwicklung.
Stiftungsdirektor Morsch weist das Argument zurück, dass die Kosten der Munitionsräumung dem Geschichtspark im Weg stehen würden. Dies sei eine »Prioritätenfrage«, betont er und verweist auf Räumungen für Forst- und Naherholungszwecke in und um Oranienburg. Ob Geschichtspark oder Erinnerungsort – »entscheidend ist, dass wir jetzt Bewegung haben«, sagt er – zu spät, wie viele Klinkerwerk-Überlebende meinen.
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