Sicherheiten für unsicheres Projekt
Umweltorganisationen zweifeln an Gutachten für brasilianisches Atomkraftwerk Angra 3
Das brasilianische Atomkraftwerk Angra ist symptomatisch für den wechselhaften Weg der Atomenergie. War der erste Reaktorblock noch von Westinghouse aus den USA, kam Angra 2 bereits vom deutschen Konzern Siemens/KWU, der auch Block 3 bauen sollte. Der wurde in den 70er Jahren bestellt, 1980 begann der Bau, der nach 1986 aber praktisch eingestellt wurde. Stromversorgungsengpässe auf dem Höhepunkt des Wirtschaftsbooms vor der letzten Krise nutzte der AKW-Betreiber, die brasilianische Regierung für einen Weiterbau zu begeistern – mit Erfolg.
Nach Verhandlungen mit der zwischenzeitlich mit der französischen Framatom fusionierten AKW-Sparte von Siemens fehlt es derzeit offenbar nur noch an der Finanzierung. Um die letzten Hürden zu nehmen, wurde im November 2009 eine Hermes-Bürgschaft für die deutschen Lieferungen beantragt und im Februar zugesagt. Zur besseren Bearbeitung des Haushaltsausschusses im Bundestag, der wegen der Höhe der Summe informiert werden musste, legte die Bundesregierung ein rund 60-seitiges Gutachten des zur halbstaatlichen Gesellschaft für Reaktorsicherheit gehörenden Instituts für Sicherheitstechnologie (ISTec) vor. Das bescheinigt Angra 3, im Wesentlichen deutschen Sicherheitsstandards zu genügen. Der öffentlich zugängliche Teil des Gutachtens weist allerdings nach Aussage des hannoverschen Kernsicherheitsexperten Helmut Hirsch etliche Widersprüche auf. So seien nur Teile des deutschen Sicherheitsregelwerkes herangezogen worden.
Zweifel melden die Umweltschützer zudem an den von der Bundesregierung zitierten Sicherheitsauflagen an, mit denen die Genehmigung in Brasilien versehen wurde. »Schließlich ist das AKW Angra 2 bereits seit 2000 am Netz, ohne dass zentrale Genehmigungsauflagen auch nur ansatzweise umgesetzt sind«, bemängelt Barbara Happe, Brasilienexpertin von Urgewald. Bis heute gebe es für die 160 000 Anwohner in der näheren Umgebung des AKW nur eine schlechte Straße als Evakuierungsweg und die sei wiederholt bei schweren Unwettern durch Erdrutsche unpassierbar gewesen.
Happe kritisierte auch, dass die brasilianische Atomwirtschaft, zu der auch selbst entwickelte Urananreicherungsanlagen gehören, weitgehend dem Militär unterstehe, weswegen das Land auch das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag, welches unangemeldete Kontrollen aller Atomanlagen durch die Internationale Atomenergieorganisation vorsieht, nicht unterzeichnet hat. Heinz Smital, Greenpeace-Atomexperte, erinnerte daran, dass auch das heute umstrittene iranische Atomprogramm vor Jahrzehnten mit einer deutschen Hermes-Bürgschaft begann.
Deshalb fordern die Umweltorganisationen die Regierung auf, die Zusage der Bürgschaft zurückzunehmen. Zwar, so Urgewald-Vertreterin Happe, gebe es keine rechtliche Handhabe dafür, doch hoffe die Organisation, dass die Banken als potenzielle Kreditgeber vor der absehbaren negativen Publicity zurückschrecken werden, ähnlich wie beim Bau des türkischen Ilisu-Staudamms. Urgewald und Greenpeace verweisen darauf, dass inzwischen weitere Bürgschaftsanträge für Zulieferungen zu Atomkraftwerken in China und Russland vorliegen, die ebenso abzulehnen seien.
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