Mit dem Kompass ins Altertum
Im Jüdischen Museum erinnern »Heiligtümer, Papyri und geflügelte Göttinnen« an Otto Rubensohn
Viele von Rubensohns Fundstücken stehen heute im Neuen Museum, erzählt Archivleiter Aubrey Pomerance. Der Name des Archäologen ist heute kaum mehr bekannt. Dem sucht eine Ausstellung im Jüdischen Museum gegenzusteuern. Möglich wurde sie, weil 2006 Rubensohns greiser Schwiegersohn den Nachlass an das Museum übergab. Mit Leihstücken jener Institute, für die Rubensohn arbeitete, kam eine informative Zusammenschau vom Leben und Wirken eines leidenschaftlichen Altertumsforschers zustande.
Geboren wurde Otto Rubensohn 1867 in einer Kaufmannsfamilie zu Kassel, studierte Archäologie, Kunstgeschichte, Klassische Philologie und in Berlin und Straßburg Geschichte. Schon mit 23 gewann er den 1. Preis in einem Fakultäts-Wettbewerb: über ein Heiligtum in Eleusis, über das er auch promovierte. Bis 1931 war er, beginnend als Hilfslehrer in Potsdam, Lehrer, dann Studienrat für Griechisch, Latein, Deutsch, Geschichte und Geografie in Berlin, unterbrochen immer wieder von Tätigkeiten als Ausgräber antiker Kultur.
Hatte er schon zuvor an Grabungen in Troja teilgenommen, weshalb er sich später selbstironisch »kleinen Schliemann« nannte, so berief ihn 1897 das Deutsche Archäologische Institut (DÄI) nach Athen. Ab 1898 legte er als Ausgrabungsleiter auf Paros Heiligtümer des Asklepios, des Apollo, der Aphrodite frei, organisierte eine Ausstellung. Sein Fund einer prähistorischen Siedlung aus dem 2. Jahrtausend vor der Zeit datierte die Inselhistorie neu. Paros blieb sein Hauptforschungsgegenstand.
Grabungs- und Notizbuch, Briefe an die Eltern, Fotos vor dem Asklepieion berichten davon. Als Rubensohn 1898 drei Monate die Grabungen an einem Sonnenheiligtum des Alten Reiches in Abusir leiten durfte, erweiterte das sein Interesse auch auf jene noch ältere Kultur am Nil. Ab 1901 war er sechs Jahre im Auftrag der Königlich Preußischen Museen unterwegs, um griechische literarische Papyri zu erwerben oder auszugraben, legte so den Grundstein für eine bedeutende Sammlung. In Fayum fand er griechisch-römische Häuser, in Gräberfeldern von Abusir, auf der Insel Elephantine griechische, demotische und, Zeichen einer jüdischen Militärkolonie schon nach 400 vor der Zeit, aramäische Papyri. Eine Metallkiste zeigt Fragmente, ein Brief an Chnum-Priester fordert die Rechnungsbücher; Rasiermesser, Kompass stehen für Rubensohns Alltag. Zwar erhielt er 1907 den Preußischen Roter-Adler-Orden IV. Klasse; eine Anstellung im Museumsdienst ergab sich indes nicht.
Erst in Hildesheim bot sich ihm eine Chance, als ihn Bankier Wilhelm Pelizaeus bat, für die 1200 Stücke zählende Kollektion ein Museum zu eröffnen. Nebenher leitete er die Kunstabteilung am Roemer-Museum, richtete das Kunstgewerbliche Museum ein. Zwei Kalkstein-Statuetten aus dem 3. Jahrtausend vor der Zeit künden ebenso von jener Lebensphase wie 1915 die Medaille für Verdienste und ein Foto, das Rubensohn als einen bescheidenen Mann porträtiert.
Die Kopie eines Rundschreibens über den Ausschluss jüdischer Mitglieder aus dem DÄI kündet den Geist einer unseligen Ära. Erst 1939 emigrierte Rubensohn nach Basel, wo die Witwe des Nofretete-Ausgräbers und Rubensohn-Freundes Ludwig Borchardt seine Existenz sicherte. 25 Jahre stand er im Dienst des Archäologischen Seminars, 1962 publizierte er sein Hauptwerk über das Delion zu Paros, erhielt zum 95. Geburtstag das Bundesverdienstkreuz. Nach dem Tod 1964 gingen die 400 Exponate seiner Privatsammlung an das Archäologische Museum Münster.
Ein wunderbares Serapis-Köpfchen aus Alexandria, die Terrakotta eines Jungen aus Böotien, ein tönernes Doppelgefäß wohl aus dem Palast der Teje sind ausgestellt.
Bis 15.8., Jüdisches Museum Berlin, Lindenstr. 9-14, Kreuzberg, Telefon 25 99 33 00, Infos unter www.jmb.de
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