Ladensterben beim »Henker«

Leerstand nimmt zu im Umfeld des rechten Szenetreffs in der Niederschöneweider Brückenstraße

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

»Zu vermieten« steht an der Fensterscheibe in der Brückenstraße in Niederschöneweide. Kommt man von der Spree in diese Straße, dann ist die rechte Szenekneipe »Zum Henker« im ersten Laden untergebracht. Daneben Leerstand an Leerstand. An manchen Läden sieht man noch, wer hier vor wenigen Monaten Waren anbot: ein türkischer Spätverkauf, Connys Container und ein dänisches Kunstcafé. In die Scheibe des dänischen Kunstcafés hat jemand ein Hakenkreuz geritzt. Andere Fassaden sind mit NPD-Aufklebern oder Grafitti verunstaltet. Die meisten Fensterscheiben verraten nicht einmal mehr, was es hier einmal gab. Erst 150 Meter vom Henker entfernt, beginnt wieder eine Ladenzeile: eine Hebammenstation, ein russischer Laden, ein Nagelstudio, Fielmann und ein Fleischer.

Hat der »Henker«, den das Bündnis für Demokratie und Toleranz im Bezirk einen überregionalen Treffpunkt des härtesten Kerns der rechten Szene nennt und aus dem heraus mehrfach szenetypische Straftaten begangen wurden, in der Brückenstraße Gewerbemieter verdrängt? Die Vermutung liegt nahe. Letzten Sommer hatte ND mit mehreren Gewerbemietern mit Migrationshintergrund gesprochen. Sie erzählten von Müll, der vor ihren Läden abgekippt wird. Unrat und volle Bierflaschen wurden hineingeworfen. Und es gab unverhohlene Drohungen, aus der Brückenstraße zu verschwinden. Einige sind inzwischen verschwunden.

Geblieben ist der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi (LINKE). Er unterhält in der Brückenstraße sein Wahlkreisbüro. Sein Büroleiter André Schubert erzählt: »Die Nachbarn klagen eher über die schlechte wirtschaftliche Situation im Kiez.« Mit den Rechten hätten sich viele arrangiert. An Gysis Fassade würden immer wieder NPD-Aufkleber oder Farbe geschmiert werden. Erst letzte Woche, einen Tag nachdem jemand die Fassade der rechten Kneipe mit roter Farbe beschmiert hatte, war auch seine Fassade blau und rotbraun. Schubert: »Das geht den Nachbarn nicht anders. Und manche wundern sich, dass ich da extra eine Presseerklärung schreibe.«

Lutz Längert vom inzwischen geschlossenen Kiezbüro Schöneweide macht eher einen indirekten Zusammenhang zwischen Ladensterben und dem Henker auf: »Die soziale Situation in Schöneweide ist schwierig. Das ist ein guter Nährboden für rechtsextremes Gedankengut. Und das ist ebenfalls ein Nährboden fürs Ladensterben.« Auch das Bezirksamt ist mit kausalen Zusammenhängen zwischen Ladensterben und rechten Tendenzen vorsichtig. »Man kann sich seine Gedanken dazu machen«, sagt Pressesprecher Hans-Rainer Harder. »Aber die Gewerbemieter müssen nicht begründen, warum sie gehen. Somit ist nichts beweisbar.«

Zwei Studentinnen fertigen in einem Schreibwarenladen in der Brückenstraße Kopien. Sie studieren am gegenüberliegenden Spreeufer an der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Über die Brückenstraße führt ihr Nachhauseweg. »Der Schreibwarenladen ist der einzige Laden hier, mit dem ich was anfangen kann«, sagt eine 22-Jährige, die aus dem brandenburgischen Nauen stammt. »Sonst ist hier tote Hose.« Sie habe extra ein paar Wartesemester in Kauf genommen, um in Berlin studieren zu können. »Das habe ich inzwischen bereut. Woanders wäre ich schon weiter mit dem Studium. Hier gibt es kein Studentenleben, nur Nazis.«

Wohnungen stehen in Schöneweide zwar leer und sind auch zu Preisen zu haben, die Studenten bezahlen können, aber die Brandenburgerin winkt ab. »Lieber fahre ich jeden Tag, als hierher zu ziehen.« Ihre Begleiterin stimmt ihr zu. »Ich habe ein WG-Zimmer in Friedrichshain. Hier wäre es billiger. Aber keine zehn Pferde kriegen mich in so eine Nazigegend.« Auch in den benachbarten Spreehöfen hat die rechte Szene in der Brückenstraße Spuren hinterlassen. Ein mongolischer Künstler hatte dort Atelierräume angemietet. Weil er auf dem Nachhauseweg in der Brückenstraße mehrfach von Rechtsextremen rassistisch bepöbelt wurde, kündigte er sein Mietverhältnis vorzeitig.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.