Der Chronist
Christopher Lehmpfuhl hat den Abriss des Palastes der Republik in Öl festgehalten
Die Spaßguerilla der 80er Jahre hätte für einen freien Blick aufs Mittelmeer gern die Alpen weg gehabt. Der Berliner Künstler Christopher Lehmpfuhl ergötzt sich hingegen an den freien Blicken, die eine Aktion der humorlosen bürgerlichen Mehrheit in der Mitte der Stadt schafft. »Schauen Sie, der Dom wirkt jetzt viel dominanter. Auch die Marienkirche kommt jetzt mehr zur Geltung«, erklärt der 38-Jährige, als er vor seine großformatigen Leinwände tritt, die den Rückbau des Palastes der Republik und die damit einhergehende Veränderung des Stadtraumes dokumentieren.
Lehmpfuhl ist aber kein Triumphator des Abrisses, sondern ein besonnener Betrachter und beharrlicher Chronist. Immer wieder ist er in den letzten drei Jahren an den Rand der Abbruchbaustelle getreten, hat dort eine 1,80m x 2,40m große Leinwand aufgebaut und mit seinen bloßen Händen dick Ölfarbe aufgetragen. »Ich bin dabei viel mit Leuten in Kontakt getreten und habe einiges über den Palast gelernt. Er ist mir jetzt viel nähergekommen«, erklärt er. Auf inzwischen 30 Werken zeigt Lehmpfuhl einzelne Stationen des Abbruchs. Er beginnt seine Tätigkeit zu dem Zeitpunkt, an dem nur noch die vier Treppenhäuser in den Himmel ragen. Sie wirken wie Stelen, oder wie jene Türme, die die Adelsfamilien der Toskana mitten in die Städte setzten. Von Bild zu Bild kann man tatsächlich nachverfolgen, wie der Dom gewichtiger wird, die Marienkirche am anderen Spree-Ufer vor die Augen tritt und sich das Rot des nicht mehr rot genannten Rathauses durchsetzt.
Lehmpfuhl präsentiert auch die Situation, als die Türme gefallen sind und nur noch ein Schutthaufen zu erblicken ist. »Das ist mein »Ground Zero«, spielt er – ironisch, aber auch nicht nur ironisch – auf die Wunde an, die das Flugzeugattentat am 11. September 2001 New York zugefügt hat. Ein paar Bilder weiter bedeckt Schnee die Szenerie. Auf den letzten Arbeiten lugt das Grün hervor, das gegenwärtig Teile des Schloßplatzes bedeckt.
Den mit der Hand statt mit dem Pinsel geschaffenen Bildnissen ist eine starke Dynamik eigen. Befindet man sich ganz nah vor ihnen, scheint alles sich in Turbulenzen aufzulösen. Die dick aufgetragene Farbe bildet massive Erhebungen, manchmal ist sogar etwas Laub oder ein kleiner Zweig hineingeraten, denn Lehmpfuhl hat bei Wind und Wetter vor Ort gemalt. Je weiter man indes nach hinten tritt, desto geordneter wirkt die Darstellung, entwickelt Tiefenschärfe.
In einem Video in der Ausstellung kann man den Schaffensprozess ergründen. »Es war ein Wettlauf mit der Zeit. Ich baute auf, die Abrissfirmen bauten ab. Wenn ich ein Bild fertig hatte, fehlten bei den Türmen schon wieder einige Meter«, beschreibt Lehmpfuhl die paradoxe Situation. Die Ausstellung »Die Neue Mitte« ist nur für wenige Tage anlässlich des Galeriewochenendes in der Alten Münze am Molkenmarkt zu sehen.
Die nächsten Transformationsetappen wird Lehmpfuhl ebenfalls mit Hand, Ölfarbe und Leinwand begleiten. Er sei kein Freund der Pläne zum Humboldtforum, verrät er. Doch als Chronist halte er durch. Das ist ein gutes Vorhaben. Wenigstens einer muss sich erinnern, was mal war, wenn alles schon komplett verändert ist.
Bis 2.5., 12-18 Uhr, Alte Münze, Molkenmarkt 2, Eintritt frei
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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