Zwei Punkte lösten Katastrophe aus

20-Jährige wegen Brandstiftung verurteilt

  • Peter Liebers
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Sie wurde überfordert, sollte kein Zeugnis erhalten und brannte die Schule an. Ein Gerichtsbericht.

Zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten wurde am Mittwoch in Erfurt die 20-jährige Katrin G. verurteilt. Sie hatte im Dezember 2001 im Weimarer Gymnasium einen Brand gelegt. Der brachte über 400 Schüler und Lehrer in Lebensgefahr. Katrin habe mit der Straftat versucht, eine Scheinwelt aufrecht zu erhalten, betonte ihr Pflichtverteidiger Bert Hüttemann. Die Hintergründe, warum die junge Frau in diese Scheinwelt geflüchtet war, wurden in der Hauptverhandlung wie in den Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidiger deutlich. Schon in früher Kindheit wurde sie zur Stütze ihrer zwei Mal geschiedenen Mutter, musste sich um ihre jüngeren Brüder kümmern, den beinamputierten Großvater mit betreuen und sollte auch noch die hohen Leistungserwartungen der Mutter erfüllen. Hinzu kommt, dass sie eine inzwischen dreijährige Tochter hat. Der Vorsitzende Richter Holger Pröbstel brachte ihre Situation auf den Punkt. Sie sei in der Familie überfordert worden, sei Ersatzvater für die Mutter, Ersatzmutter für die Brüder gewesen. Was in ihr vorging, danach habe niemand gefragt. Im Weimarer Hoffmann-von-Fallersleben-Gymnasium wiederholte Katrin G. die 12. Klasse, um Wissenslücken aufzufüllen, die während des Besuchs des Jenaer Sportgymnasiums entstanden waren, in dem sie erfolgreich Judo trainiert hatte. Doch auch in Weimar gab es Probleme. Ihr fehlten letztlich zwei Punkte in Latein, um zum Abitur zugelassen zu werden. Der Mutter sagte sie davon nichts, auch nicht, dass sie schließlich der Schule verwiesen worden war, weil sie den Unterricht nicht mehr besucht hatte. Dann nahte der letzte Schultag vor Weihnachten 2001, der Tag, an dem es Halbjahreszeugnisse geben sollte. Sie hätte keines bekommen und Farbe bekennen müssen. Da legte sie mehrere Brände und rief dann ihre Mutter an. Die Schule brenne, es gebe kein Zeugnis. Da mag sie kurz aufgeatmet haben, bevor sie von den Folgen ihrer Tat eingeholt wurde und schließlich auf der Anklagebank landete. Besonders schwere Brandstiftung und 446-facher Mordversuch lautete die Anklage. Der Mordversuch wurde in der Hauptverhandlung fallen gelassen, weil ihr die Absicht, Menschen töten zu wollen, nicht nachgewiesen werden konnte. »Wir alle müssen dankbar sein, dass durch das beherzte Eingreifen von Kindern eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes verhindert wurde« betonte Richter Pröbstel unter Verweis darauf, dass hochtoxischer Rauch - zwei Atemzüge wären tödlich gewesen - innerhalb weniger Minuten den Haupteingang der Schule blockiert hatte. Dass es nur zehn Verletzte gegeben habe, sei nicht das Verdienst der Angeklagten. Die hatte sich bei jedem Lehrer und Mitschüler entschuldigt und folgte den Verhandlungen in Tränen aufgelöst. Das Gericht habe ein Urteil »in schweren Zeiten« fällen müssen, sagte Pröbstel unter Anspielung auf die Morde im Erfurter Gutenberg-Gymnasium und fügte die Frage an: »Spielt unsere Jugend plötzlich ganz verrückt?« Jeder müsse sich Gedanken machen, wohin der Weg »unserer Kinder« geht. Die seien in einer scheinbar heilen Welt mit ihren Sorgen und Problemen allein, brauchten Zeit, Ruhe und Zuwendung, um ihren Weg zu finden. Parallelen zwischen den Taten in Erfurt und Weimar sah er nur in den Ursachen. Zwischen den Taten lägen Welten. Die Taten der Angeklagten, zu denen auch mehre Diebstähle und Betrug gehörten, wertete er als Versuch eines verzweifelten Kindes auszubrechen. Dass eine als engagiert geltende Lehrerin nicht wusste, dass ihre Schülerin eine Tochter hat, stimme ihn nachdenklich, sagte Pröbstel. Der Richter bescheinigte den Pädagogen aber, dass sie mehr arbeiten als sie müssten und das ihnen unter den gegebenen Umständen Mögliche tun. Er bezeichnete es als überfällig, das Thüringer Schulgesetz zu ändern. Der Fall zeige zugleich, wie wichtig es sei, das Jugendstrafrecht bis zum 21. Lebensjahr anwenden zu können, um das Leben junger Menschen nicht mit drastischen Strafen zu zerstören. Kämen Law-and-Order-Politiker, denen Sachkenntnis fehle, unter dem Eindruck der Erfurter Bluttat auf die Idee, nun das Erwachsenenstrafrecht auf 18 Jahre zu senken, wäre das katastrophal. Vielmehr wäre es sinnvoll, dass der Gesetzgeber über Möglichkeiten nachdenkt, auch höhere Strafen zur Bewährung auszusetzen. Bedauerlich sei es, dass die Kammer auf die Art der Vollstreckung keinen Einfluss hat. Der Angeklagten gestand er, dass sie ihm »menschlich bis auf den Boden meines Herzens« Leid tue. Vieles hätte gewonnen werden können, hätte sie früher ein Zeichen ihrer Nöte gesetzt. Sie habe aber aus ihren Fähigkeiten zu wenig gemacht und müsse für ihre Taten gerade stehen. Die Gerichtskosten ersparte die Kammer der Angeklagten, um sie nicht in noch größere Probleme zu stürzen. Bei der Strafverbüßung werden ihr sechs Monate Untersuchungshaft angerechnet. In ihrem letzten Wort versicherte Katrin G. mit tränenerstickter Stimme, wenigstens einen Teil des Schaden wieder gut machen zu wollen. Sie bat um die Chance, ihre Tochter nach sechs Monaten wiedersehen zu können. Diese Gelegenheit wu...

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