Verdis »Oberto«
Doppeltes Debüt
In Berlin gibt es zahlreiche Chöre und Orchester. In manchen treffen sich Laien, in anderen Profis. Doch bleiben diese beiden Sphären normalerweise streng getrennt. Um zu erleben, dass sich Vertreter beider Gruppen zum gemeinsamen Musizieren und Singen vereinen, musste man bislang nach London reisen. Dort existiert seit 1950 die Chelsea Opera Group, die in ihren Aufführungen Amateure, Berufsmusiker und professionelle Solisten zusammenbringt.
Warum sollte dieses Modell nicht in Berlin funktionieren? Das fragte sich der Dirigent Felix Krieger, der gelegentlich am Pult der Londoner Gruppe steht. Schon vor drei Jahren gründete der 37-Jährige den Verein »Berliner Operngruppe«. Jedoch ging Zeit ins Land, bis Sponsoren und Fördergelder beisammen waren. Am vergangenen Montag fand schließlich im Radialsystem die erste Aufführung der Berliner Operngruppe statt.
Es passt, dass man für diese Premiere auch das Operndebüt eines Komponisten gewählt hat. »Oberto, Graf von San Bonifacio« ist die erste Oper von Giuseppe Verdi. Mit diesem Stück begann der 26-Jährige 1839 seine Karriere an der Mailänder Scala – immerhin mit solch einem Erfolg, dass er gleich einen Auftrag für drei weitere Opern erhielt.
Die Qualität der Musik ist noch recht schwankend. Jedoch ließ die schwungvolle und engagierte Darbietung der Berliner Operngruppe bereits den zukünftigen großen Opernkomponisten erkennen. Hier agieren lebendige Menschen, keine Figurenschablonen. Und Verdi beeindruckt bereits durch sein Genie als Melodienerfinder und durch den Sinn für Dramatik.
Die Handlung um einen mittelalterlichen Ritter, der für die Ehre seiner Tochter im Duell stirbt, ist jedoch dürftig und verworren. Die Operngruppe hat daher gut daran getan, sich auf eine konzertante Aufführung zu beschränken. Zumal die Gefahr eines eintönigen Rampengesangs erfolgreich umgangen wurde: Die Solisten sangen meist auswendig; sie bewegten sich frei auf dem Podium und verfielen dabei häufig in ein szenisches Spiel. Diese fünf Sänger waren natürlich allesamt Profis, denn die italienische Belcanto-Oper funktioniert nicht ohne gute Stimmen. Als Glücksgriff erwiesen sich vor allem der Bass Francesco Ellero d'Artegna in der Hauptrolle des Oberto und der Tenor Leonardo Gramegna als sein Rivale Riccardo. Die beiden verbinden Stimmkraft und Belcanto-Schmelz mit einer ganz natürlich wirkenden Emphase. Da kommt nicht einmal Kitsch-Verdacht auf, wenn Gramegna nach seinem Mord an Oberto neben der Leiche im Gebet auf die Knie sinkt.
Leider gab es nur eine einzige Aufführung; in Zukunft plant die Operngruppe zwei Projekte pro Jahr. Darauf darf man gespannt sein, denn schon bei diesem Debüt ließ sich feststellen, dass die Vereinigung von Profis und Amateuren eine ganz besondere Energie freisetzt. Die einen steuern Erfahrung und technisches Können bei, die anderen ihren Enthusiasmus, der bei der professionellen Arbeit manchmal auf der Strecke bleibt. So spornt man sich gegenseitig an.
Das Ergebnis wurde mit begeistertem Applaus bedacht.
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