Kohle für den Humus

Die selbstständigen darstellenden Künstler Berlins fordern 10 Millionen Euro

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

In einer Szenebar in New York traf der Berliner Schauspieler Jochen Roller auf ein Plakat, das die Sophiensäle als »Garten der Kreativität« anpries. Vermutlich war es während Klaus Wowereits Stadtmarketing-Kampagne am »Big Apple« in dieses Etablissement gespült worden. Roller, der bemerkte, dass durchaus sehnsüchtige Blicke auf diese Botschaft trafen – New York ist wegen der horrenden Lebenshaltungskosten seit einiger Zeit nur noch im halbkriminellen Finanzsektor ein »Garten der Kreativität« – bemerkte trocken: »Hey, ich arbeite dort.« Er bekam umgehend einen Drink spendiert.

Viel mehr an materieller Unterstützung dürfen sich Berlins freie Theaterkünstler aber kaum erhoffen, obwohl sie doch der »kreative Humus« sind, mit dem der Regierende Bürgermeister so gern für seine Stadt wirbt. Sein Motto »arm, aber sexy« bezieht sich vor allem auf diese freie Szene.

Welchen Stellenwert die freien Künstler trotz ihrer symbolischen Bedeutung in der administrativen Hierarchie einnehmen, zeigen nicht nur Jahr für Jahr die Haushaltsverhandlungen. Dort wird den freischaffenden Kreativen allenfalls ein Gnadenbrot zugewiesen. Es offenbart sich auch in der Praxis des in dieser Woche beginnenden Theatertreffens. Während der Krise des etablierten Betriebs vor einigen Jahren griffen die Kuratoren beherzt nach den frischen und frechen Arbeiten der freien Künstler. Jetzt sind einige wenige von ihnen im Milieu etabliert. Die in diesem Jahr in einer Sonderkategorie als die beste Produktion der freien Szene eingeladene Arbeit »Othello c’est qui« von Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen wurde in den bislang veröffentlichten Pressemitteilungen jedoch mit keiner Silbe erwähnt, erregte sich die Leiterin der Sophiensäle, Heike Albrecht. In ihrem Haus sind Ginterdorfer / Klaßen künstlerisch beheimatet. Die freie Szene, so stellt sich heraus, ist ein Mohr, der zuweilen gebraucht wird – Forderungen hat er aber bitte schön nicht zu stellen.

Diese Situation wollen Berlins freie Tanz-, Theater- und Performancekünstler ändern. In den Eden Studios in Pankow trafen sich am Montag auf Initiative des Landesverbandes freie Theaterschaffende, des Tanzbüros Berlin und der Initiative zeitgenössischer Tanz Berlin knapp 100 Vertreter, um über das Selbstverständnis ihrer Arbeit nachzudenken und Zukunftsmodelle zu entwickeln.

Ein Kernpunkt der Bestandsaufnahme war, dass die freie Projektarbeit gegenwärtig als Rationalisierungsmaxime des globalisierten Kapitalismus Konjunktur erfährt. Der Theaterhistoriker Jan Lazardzig legte dar, dass Projektarbeit und Kapitalismus aber schon seit dem 18. Jahrhundert in immer neuen Zyklen miteinander verknüpft sind. Als charakteristisch stellte er die flexiblen Strukturen, die Eigenmotivation, die zeitliche Begrenztheit und die Tendenz zum Vergessenwerden mangels von Archiven heraus.

In den nachfolgenden Workshops wurden von den Beteiligten vor allem die Fähigkeit zum Schaffen von eigenen Strukturen, die Prozesshaftigkeit des Arbeitens und die besondere soziale Qualität der Beziehungen als positive Merkmale hervorgehoben. In einer Gesellschaft, in der der Einzelne immer stärker herausgelöst wird und er zur Eigeninitiative verdammt ist, stellt die freie Projektarbeit also weiterhin interessante Instrumente zur Verfügung. Aber nicht nur daraus sollte die freie Szene Selbstbewusstsein schöpfen, meinte die Kuratorin des Hebbel am Ufer (HAU), Stefanie Wenner. »Wir sind die Sofakissen des Kapitalismus. Wir werden dafür bezahlt, durch Kritik das System zu stabilisieren«, sagte sie. Zwar fühlt sich nicht jeder in der Rolle des Systemstabilisators wohl. Doch gerade wenn man schon solche systemrelevanten Aufgaben wahrnimmt, sollte man wenigstens angemessen bezahlt werden.

Das Treffen mündete in der Selbstverpflichtung, in zukünftige Förderanträge eine angemessene Honorierung einzuarbeiten. Das wären nach Berechnungen des Landesverbandes der freien Theaterschaffenden Berlins (LAFT) pro gefördertem Monat und Künstler 2000 Euro brutto für Mitglieder der Künstlersozialkasse bzw. 2600 Euro für anderweitig Versicherte. Unter Beibehaltung des aktuellen Umfangs der geförderten Projekte müsste sich die Fördersumme für freie Gruppen von 4 Millionen Euro auf etwa 10 Millionen erhöhen.

Den Weg dorthin skizzierte Alexander Opitz, Vorsitzender des badenwürttembergischen Landesverbandes freier Theater. Dank einer Statistik über die Effektivität des freien Theaters gegenüber dem Stadt- und Staatstheater – pro Zuschauer erhielten die freien Theater lediglich 0,79 Euro Förderung, während jede Karte in den etablierten Häusern mit 104 Euro bezuschusst wurde – konnte die Förderung für die freien Theater in dem westlichen Bundesland binnen zweier Jahre verfünffacht werden. Der LAFT in Berlin will solche Zahlen nun bis September vorlegen, um der eigenen Forderung nach zehn Millionen Euro Nachdruck zu verleihen.

Gleichfalls wurde angeregt, die Förderinstrumente selbst mehr der Prozesshaftigkeit der Arbeit anzupassen, Produktionshäuser und Stipendienprogramme zu stärken, den etablierten Häusern bei Kooperationen auf Augenhöhe zu begegnen sowie einen zentralen Technikpool und Fundus sowie Archive einzurichten.

Die freien Theaterkünstler Berlins werden sich ihrer kulturpolitischen Bedeutung wieder stärker bewusst. Zugleich nimmt ihr Wunsch nach Solidarisierung zu.

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