Festakt auf eigene Faust
Beethoven und Tschaikowski zum 65. Jahrestag der Befreiung
Vieles an diesem Mittwochabend wirkte symbolisch, sollte so wirken, über das Musikerlebnis hinaus. Ein russisches Orchester spielt, kurz vor dem 65. Jahrestag der Befreiung Berlins und Deutschlands vom Faschismus, vor hauptsächlich deutschem Publikum. Auf dem Programm stehen heroische Musiken Beethovens, die Egmont-Ouvertüre und das fünfte Klavierkonzert Es-Dur, op. 73, beide entstanden während der Napoleonischen Besatzungszeit im Jahr 1809, im zweiten Teil Tschaikowskis Violinkonzert D-Dur, op. 35 und der Finalsatz der f-moll-Sinfonie Nr. 4, op. 36, ein rauschendes Volksfest in Töne setzend, endend in triumphalem Orchesterbombast.
Dieses Konzert bot hohe Klangkunst, ohne Frage, verstand sich aber doch in erster Linie als Festakt. Indem es dem Moskauer Orchester unter Arkady Berin und den jungen Solisten begeistert applaudierte, feierte das Publikum zugleich den historischen Sieg der sowjetischen Truppen über Hitler-Deutschland. Es huldigte der Musik, die, so kämpferisch sie auch aufbraust, doch nie einem Menschen mit Vorsatz das Leben raubt, und zugleich begrüßte es den Geist der Versöhnung zwischen den einst verfeindeten Völkern.
Dass es zu diesem Festakt kam, ist der Konzertagentur Cantica und ihren Unterstützern zuzuschreiben, zu denen weder der deutsche Staat, noch die Stadt Berlin zählen. Anträge auf finanzielle Förderung wurden abgelehnt. Hauptsponsor der Veranstaltung war ein Unternehmen für Mineraldüngemittel – mit Sitz in Moskau. Dass deutsche Behörden dieses kulturelle Ereignis, das Dank ausdrücken soll, zwar mit freundlichen Worten, nicht aber mit Zuschüssen begleiten, findet Veranstalter Hermann Falk beschämend. Sichtlich verärgert ist er auch über die mangelnde Medienresonanz. Den angebotenen Mitschnitt des Konzerts hielt der Rundfunk Berlin-Brandenburg für nicht realisierbar. Der Mitteldeutsche Rundfunk will immerhin einen Sechs-Minuten-Beitrag fürs Fernsehen produzieren.
Die Zuhörer des seit Wochen ausverkauften Gastspiels ließen sich insbesondere von der Virtuosität der beiden 24-jährigen Solisten beeindrucken. Als wären es die Beinchen eines Tausendfüßlers, rasten Vadym Kholodenkos filigrane Finger über die Tastatur des Flügels. In zwei solistischen Zugaben zeigte der junge Pianist, dass er nicht nur hoher Präzision fähig ist, sondern sein Instrument auch in einer nebulösen Klangwolke verschwinden zu lassen versteht.
Der Geiger Nikita Borisoglebski zog das Orchester gleichsam hinter sich her, als er Tschaikowskis von dessen Zeitgenossen Leopold Auer für unspielbar erklärtes Violinkonzert furios in den Saal sägte. Der anfangs zurückhaltende Dirigent Arkady Berin schien sich von der Leidenschaft seines Solisten anstecken zu lassen. Im anschließenden Sinfonie-Allegro (con fuoco, dt.: mit Feuer) war das Klappern seiner Sohlen auf dem Podest beinahe so laut zu hören wie die Pauke.
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