Schönefeld startet durch

Europas modernster Airport soll am 30. Oktober 2011 den Betrieb aufnehmen

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Terminal-Vorfahrt: oben für abfliegende Passagiere, unten für ankommende.
Die Terminal-Vorfahrt: oben für abfliegende Passagiere, unten für ankommende.

Die Feier kommt eigentlich ungelegen. Gut 18 Monate vor dem geplanten Eröffnungstermin des neuen Hauptstadt-Flughafens Berlin Brandenburg International (BBI) steigt heute das Richtfest für das, was in Werbebroschüren gern »das größte Infrastrukturprojekt Ostdeutschlands« genannt wird. Doch Zeit zum Feiern bleibt kaum, denn die Bauleute stehen unter enormem Termindruck. Diesen Winter hatte niemand eingeplant. Gut zwei Monate konnte auf der Riesenbaustelle nicht voll gearbeitet werden. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) räumte Bauverzögerungen von »mehreren Wochen« ein. Die Flughafengesellschaft versucht jetzt, den Zeitverlust zu kompensieren. Denn am Eröffnungstermin 30. Oktober 2011 wird unverdrossen festgehalten, auch wenn das »ein wahnsinnig ehrgeiziges Ziel« ist.

Dabei waren die Ziele anfangs noch viel ehrgeiziger. Denn eigentlich sollten schon seit 2007 am neuen Airport die Jets starten und landen. Doch eine beispiellose Serie von Pleiten, Pech und Pannen sorgte dafür, dass die Terminplanungen mehrfach über den Haufen geworfen wurden. Eine Grundlage dafür wurde 1996 gelegt, als im Standort-Wettbewerb nicht Sperenberg, sondern Schönefeld das Rennen machte, obwohl es für Brandenburgs damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe bestenfalls die »zweitbeste Lösung« war. Mit Sperenberg konnte er sich aber gegen den damals CDU-geführten Berliner Senat nicht durchsetzen. Denn der wollte den Airport, der Tegel und Tempelhof ersetzen soll, dicht vor der Haustür haben.

Hinzu kamen anrüchige Grundstücksspekulationen und haarsträubende Verfahrensfehler beim ersten Versuch, den Flughafen zu privatisieren. Ein zweiter Anlauf, das Großprojekt von privaten Investoren finanzieren und bauen zu lassen, scheiterte 2003 an den Renditegarantien, die das Konsortium von der öffentlichen Hand verlangte.

Schließlich zogen 4000 Anwohner und drei Umlandgemeinden gegen drohenden Fluglärm und Werteverlust ihrer Grundstücke vor Gericht und erreichten einen zeitweiligen Baustopp. Zu Fall bringen konnten sie das Projekt allerdings nicht mehr. Das Bundesverwaltungsgericht gab am 16. März 2006 grünes Licht für den Bau, wenn auch mit einem weitgehenden Nachtflugverbot. Beim wirtschaftlichen Betrieb des Flughafens könnte sich diese der zweifelhaften Standortwahl geschuldete Einschränkung des Flugbetriebs rächen.

Die Erwartungen an den Flughafen sind allerdings enorm. Bis zu 40 000 neue Arbeitsplätze sollen durch ihn entstehen, 16 Gewerbeparks sind in seinem Umfeld ausgewiesen. Beim Baubeginn am 5. September 2006 sprach der damalige Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) von »einem Projekt der großen Visionen«, das die Hauptstadtregion in »die Liga der großen Wettbewerber katapultieren« werde. Flughafenchef Rainer Schwarz konkretisiert das mittlerweile ein wenig, indem er davon spricht, Berlin-Brandenburg mit dem BBI »in die Top-Ten-Region im europäischen Luftverkehr« führen zu wollen. Derzeit rangieren die Berliner Flughäfen etwa auf Platz 15, in Deutschland nach Frankfurt (51 Millionen Passagiere) und München (32 Millionen) auf Platz drei.

Im deutschen Ranking wird sich auch mit BBI nichts ändern. Im vergangenen Jahr zählten die Berliner Flughäfen 21 Millionen Passagiere, in diesem Jahr werden 22 Millionen erwartet. BBI kann bis zu 27 Millionen verkraften, sollte der Zuwachs wider Erwarten in den kommenden Jahren anhalten, kann die Kapazität durch Erweiterungsbauten auf bis zu 45 Millionen Passagiere gesteigert werden.

Auf alle Fälle soll der Flughafen der modernste Europas werden. Etwa dort, wo einst das Dorf Diepensee stand, ragt bereits das rohbaufertige Terminal aus der Landschaft. Trotz seiner gigantischen Ausmaße von 220 mal 180 Metern verspricht das sechsgeschossige Gebäude den künftigen Fluggästen kurze Wege. Sie sollen in nur fünf Minuten vom unterirdischen Flughafenbahnhof, in dem Fern- und Regionalzüge sowie die S-Bahn halten können, über Aufzüge und Rolltreppen in die drei Etagen darüber liegende Abfertigungshalle gelangen. Wer die passiert hat, kann noch nicht abheben, sondern soll erst mal shoppen: Für Handel und Gastronomie sind 20 000 Quadratmeter Fläche vorgesehen, was einem mittleren Einkaufs-Center entspricht. Wenigstens mit seinem »Non-Aviation-Bereich«, wie man das Konsumieren in Flughäfen nennt, soll BBI an die Spitze der deutschen Flughäfen gelangen und für etwa die Hälfte des Gesamtumsatzes sorgen. In Tegel und Schönefeld ist es etwa ein Drittel.

Danach kann der Weg für den Fluggast allerdings lang werden: Der Hauptpier vor dem Terminalgebäude ist 715 Meter lang, 16 Fluggastbrücken ermöglichen den Zugang zu den Maschinen, am 350 Meter langen Südpier sind es neun. Den weitesten Weg müssen die Passagiere der Billigflieger zurücklegen, für die der ebenfalls 350 Meter lange Nordpier vorbehalten ist, von dem es zu Fuß zu den Maschinen geht.

Ein Billigflughafen wird BBI nicht. Um die vier Milliarden Euro werden in das gesamte Projekt investiert, davon etwa 2,5 Milliarden in den Flughafen selbst. Weitere 636 Millionen kostet die größtenteils vom Bund finanzierte Schienenanbindung samt unterirdischem Bahnhof, 74 Millionen Euro die Straßenanbindung, 82 Millionen wurden für die Umsiedlung von Diepensee ausgegeben. Etwa 700 Millionen Euro kommen an Kreditzinsen hinzu. Acht Banken stellen 2,4 Milliarden Euro an Krediten zur Verfügung. Dabei gehen sie kein Risiko ein – Berlin und Brandenburg sowie der Bund als Flughafengesellschafter bürgen.

Ob sich angesichts dieser Summen der Airport wirtschaftlich betreiben lässt, wird von Kritikern bezweifelt. Manager von Billigairlines, die hohe Flughafengebühren befürchten, sprechen bereits vom »Millionengrab«. Und Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber dämpfte die Erwartungen, BBI könnte ein internationales Drehkreuz werden. Dafür fehle es an genügend Passagieren für Langstreckenflüge, sagte er zum Leidwesen der Flughafenverantwortlichen. Die hoffen auf Passagiere auch aus den benachbarten polnischen Landesteilen und auf den Ausbau der Verbindungen nach Asien. Derzeit gibt es nur neun Langstreckenverbindungen und zwei Prozent Umsteigeverkehr auf den Berliner Flughäfen, am BBI soll er auf zunächst fünf Prozent steigen. Das wird den Flughafen nicht retten, glaubt der Verkehrsexperte Frank Welskop, der über BBI ein Buch geschrieben hat. BBI komme mindestens zehn Jahre zu spät, so Welskop, zweites Drehkreuz nach Frankfurt sei inzwischen München geworden, das eigentlich für Berlin geplante Frachtzentrum entstand in Leipzig. Nur als Airport für Billigairlines könne BBI nicht rentabel betrieben werden, sondern werde immer auf Subventionen durch den Steuerzahler angewiesen sein, so seine These. Doch das will angesichts des rasch wachsenden Flughafens niemand hören. Der Titel des Buches lautet übrigens: »BBI – ein neuer Berliner Bankenskandal?«

Fakten


Fläche: Der Flughafen im brandenburgischen Landkreis Dahme-Spreewald wird 1470 Hektar groß, das entspricht rund 2000 Fußballfeldern. Der alte Flughafen Schönefeld muss dazu um 970 Hektar nach Süden erweitert werden. Wie das alte Schönefeld-Terminal genutzt werden kann, ist noch unklar.

Kosten: Die Baukosten betragen 2,5 Milliarden Euro. Die Finanzierung beruht auf drei Säulen: Neben einer Kreditaufnahme von 2,4 Milliarden Euro steuern die Gesellschafter Bund, Berlin und Brandenburg insgesamt 430 Millionen Euro bei, die Flughafengesellschaft 440 Millionen.

Terminal: Im Norden und Süden flankiert von den Start- und Landebahnen, bietet es mehr Geschossfläche als die 26 Messehallen am Funkturm. Herzstück ist die Gepäcksortieranlage, die pro Stunde 15 000 Einzelteile sortieren kann.

Flughafenbahnhof: Er entsteht direkt unter dem Terminal und verfügt über sechs Gleise, davon zwei für die S-Bahn, die von der derzeitigen Endstation Flughafen Schönefeld um acht Kilometer verlängert wird. Mit dem Flughafenexpress sollen künftig Reisende den BBI vier mal pro Stunde vom Berliner Hauptbahnhof erreichen können. Doch weil die Dresdner Bahn nicht vor 2016 fertig ist, wird dies zunächst nur alle halbe Stunde möglich sein, und die Fahrt dauert statt 20 knapp 30 Minuten.

Nachtflug: Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar ein Nachtflugverbot zwischen 0 und 5 Uhr verhängt, doch in der jeweils einen Stunde davor und danach sind Starts und Landungen fast uneingeschränkt möglich. Dagegen laufen Klagen.

Tage der offenen Tür: Nach dem Richtfest haben Interessenten Gelegenheit, Sonnabend und Sonntag die Baustelle zu besichtigen. Um den Info-Tower gibt es ein Bühnenprogramm, zusätzlich werden Bustouren und Hubschrauber-Rundflüge angeboten.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -