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Die geistigen Kleinbauern
Im ländlichen Weltanschauungsstreit um die LPG stehen älteste Gedankenmuster wieder auf
Mitunter ergibt die bizarre Gleichzeitigkeit von Ereignissen unerwarteten Erkenntnisgewinn. Der erfolgreiche Kinofilm »Das weiße Band« und der aktuelle Streit um die DDR-Agrarpolitik in Brandenburg scheinen auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben. Doch nur auf den ersten Blick.
Denn der in vielfacher Hinsicht ausgezeichnete Film ist wie geschaffen, um in diesen Streit einzugreifen. Er ist deshalb so bemerkenswert, weil er elegant mit einer deutschen Jahrhundertlüge abrechnet. Die Lüge lautet: das deutsche Dorf des freien Einzelbauern auf nicht minder freier Scholle sei gesund gewesen.
Nein, gerade eingangs des 20. Jahrhunderts zeigte sich, wie brüchig das dörfliche Gefüge geworden und wie wenig Zukunft ihm beschieden war. Das deutsche Dorf des Konkurrentenhasses, des Geschwisterzwistes, des Herr-und-Gesinde-Verhältnisses, des immer genährten Antisemitismus, des Altenteils, der Mägdevergewaltigung – es war krank. Seine Zeit war spätestens um, als es die Ernährungsansprüche einer explodierenden Stadtbevölkerung nicht mehr befriedigen konnte. Im Film sind es die Kinder, die gefühlsmäßig dagegen rebellieren, weil sie spüren, dass ihre Eltern nur noch zu unterdrücken, aber nicht mehr zu leiten verstehen.
In jener Zeit, also vor hundert Jahren, wurde der Buchmarkt in Deutschland von einer nicht enden wollenden Flut von hinterwäldlerischer Bauernlob-Literatur überschwemmt. Diese populäre Welle verklebte das Hirn, prägte Bewusstsein zum Teil bis zum heutigen Tage und pries eine Struktur, für welche die Uhr der Geschichte abgelaufen war, als einwandfrei, stark und alternativlos. Sie leistete, wie sich später erwies, ihren Beitrag zur Faschisierung des Landes.
Nichtsdestotrotz: Der »freie Bauer«, den Hermann Löns (»Der letzte Hansbur«) und Ludwig Ganghofer (»Der Dorfapostel«) so hingebungsvoll beschworen, und der von Adolf Hitler so abgöttisch geliebt worden war, er stand auf verlorenem Posten. Seine Zeit war abgelaufen.
In allen Ländern der Welt drängte es seither nach Technisierung, nach großflächiger Bearbeitung, Effektivierung. Aber in Deutschland wurde und wird bis heute ein agrarpolitisches Museum mit abergläubischer Hartnäckigkeit verteidigt.
Was der Film bietet, dazu hatten die DDR-Bürger übrigens schon lange vorher Zugang – mit dem Roman von Ehm Welk »Die Heiden von Kummerow«. Das Thema ist das gleiche. Auch wenn sie in diesem Buch alle noch auftreten, die Urmächte der Altvorderen: Gutsherr, Pfarrer, Küster in diesem letzten aller Dörfer – die Zeit läuft gegen sie.
Die DDR hat mit der von ihr durchgesetzten LPG-Bildung auf ihre Weise eine Antwort geben wollen. Wirtschaftlich ist das auch gelungen. Es gibt einen mit Händen zu greifenden Beweis, dass die Genossenschaften nicht nur Teufelswerk gewesen sein konnten. Diese Struktur brach 1990 nicht zusammen, sondern setzte sich in der neuen Zeit recht erfolgreich durch. Der weitaus größte Teil der damals in den Genossenschaften Tätigen sieht diese Lebensphase bis heute positiv. Aber wie so oft in der Menschheitsgeschichte – am Beginn einer späteren Generationen völlig einleuchtenden Entwicklung steht mitunter Zwang, der in Terror mündet. Der Widerstand gegen die Kollektivierung wurde am Ende brachial gebrochen. Menschen wurden ins Gefängnis, in den Westen oder in den Freitod getrieben. Die Freiwilligkeit war in den meisten Fällen Fiktion.
Der 50. Jahrestag der Kollektivierung der Landwirtschaft ist für CDU, FDP und Bündnisgrüne im Landtag Anlass, geradezu wild mit der rot-roten Landesregierung abzurechnen. Tenor: Sie relativiere, verharmlose oder entschuldige sogar damals vorgekommenes Unrecht.
Dabei führte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel den direkten Angriff auf die Genossenschaften von heute und bestritt ihre Existenzberechtigung mit dem absurden Argument, das Gedankengut des Frühkommunismus und des Leninismus würde in ihnen leben. Hier lebt es auf, das Ökoideal von der Ziege hinterm Haus, Liebstöckl am Wegesrand, dem Beet und der Scheune.
Was den Grünen so vorschwebt, frommt vielleicht der gut verdienenden Altmutti, die als Grünen-Wählerin im BMW die Ökomilch für ihr Baby holt und dafür auch gern weite Strecken fährt. Für den großen Rest ist Vogels Konzeption keine Antwort. Was Axel Vogel Brandenburg verordnen möchte, wäre eine Art Anschlag auf seine Ernährungsgrundlage. Den historischen Beweis dafür gibt es. In Polen konnte sich schon seit den 1950er Jahren Vogels Ideal vom freien Bauern auf den kleinen Feldern verwirklichen, denn die Kollektivierung der Landwirtschaft wurde dort wieder rückgängig gemacht. Die Folge waren erbärmliche Ernteergebnisse, eine Mangelernährung der Polen und eine Verelendung seines Bauernstandes. Aber der letzte Hansbur, das stimmt schon, der überlebte.
Die Mehrheit der grünen Abgeordneten im Landtag stammt aus den alten Bundesländern und scheint Vorurteile über sich bestätigen zu wollen, die im Osten gehegt werden: Keinen Blick zu haben für das Problematische im demokratischen Westen, aber einen tief empfundene Ablehnung gegenüber allem, was aus der DDR stammt und vor allem dann, wenn es erfolgreich war und als sinnvoll erkannt wurde, so wie die LPG. Für diese Menschen gilt geistig: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.
Es kann keinen Zweifel daran geben, dass die LPG-Bildung im historischen und ökonomischen Sinne geboten und gerechtfertigt war. Es war zweifellos der Fortschritt auf der ganzen Linie und ein Gewinn für die Menschen. Die Dokumentarfilmreihe »Die Kinder von Golzow« legt davon ein wunderbares Zeugnis ab. Genau so gerechtfertigt und nötig ist es aber auch, die bedrückende Frage von Karl Marx zu wiederholen: »Wann wird der menschliche Fortschritt nicht mehr dem heidnischen Götzen gleichen, der seinen Nektar aus den Schädeln der Erschlagenen säuft?«
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