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Zorn und Weh

TiP: »Die Wand« mit Cornelia Schmaus

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Einmal legt sie ihren Kopf auf einen Schemel, als wäre es ein Richtblock und sie einverstanden mit einer Vollstreckung. Einmal legt sie sich auf den hölzernen Tisch, als sei er eine weiche Lagerstatt und sie noch auf härtestem Untergrund empfänglich für Wohlgefühl. Oder aber: als sei dies Gefühl verstorben, und das harte Holz schmerzt nicht. Und einmal brüllt sie in den weißen Vorhang hinein, der das Wände-Viereck ihrer Existenz bildet. Wenn sie lacht, siedelt dies Lachen nicht weit entfernt vom Schrei, und was daran mag Verzweiflung oder grimmiger Trotz sein. Diese Frau, in klobigen Schuhen, in winterfester Hose, in wärmender grober Strickjacke, gibt Bericht. Es ist das Protokoll einer gespenstischen Vereinsamung, aber das Gespenstische der Situation wird übertroffen vom Gespenstischen jener geradezu gnadenlosen Selbstverständlichkeit, mit der diese Frau besagte Einsamkeit in praktisches Leben wandelt – und sie so das Fröstelnmachende ihrer Lage aufhebt in faszinierender menschlicher Würde und Wachheit.

Die starke Schauspielerin Cornelia Schmaus ist diese Frau, im Monolog »Die Wand«, zu sehen mehrere Abende am Berliner Theater im Palais. Nach dem gleichnamigen Roman der Österreicherin Marlen Haushofer (1963) erarbeiteten Schmaus und Annett Hardegen diese Aufführung (Bühne und Kostüm: Mathias Werner) – uneingeschränkt darf von einem Ereignis gesprochen werden, von etwa anderthalb Stunden tief greifendem Schauspiel-Theater, einer intensiven Durchlebenskunst, die sich aufreizend unsentimental, aber doch wunderbar herztonvoll (und dies fast beiläufig) in den Grund des Existenziellen gräbt.

Der Roman ist der Bericht einer Eingeschlossenen. Kurzurlaub in einem Jagdhaus. Das befreundete Paar kehrt aus dem Dorf nicht zurück. Die Frau sucht und stößt auf eine unsichtbare Wand. Auf der anderen Seite Tote. Als sei eine Neutronenbombe gefallen. Mit Kuh, Hund und Katze wird sie ihre science-fictionhafte Isolation leben müssen. Eine dämonische Robinsonade beginnt. Der Bericht der Frau ist ein Tätigkeitsprotokoll. Ein Bericht von der Neuerschaffung der Welt, die nie wieder sein wird, was sie war. Jetzt ist das Leben ein Abtötungsverfahren.

Cornelia Schmaus beginnt scheu, versunken, gehärtet; erst der entschieden gesagte Satz, man müsse sich irgendwann kompromisslos den eigenen Gedanken stellen, hebt ihr den Blick. Sie redet stets an den Grenzstellen zum Verstummen; die Akribie im Schildern täglicher, profaner Arbeiten für ihr Überleben und das der Tiere gleicht einer Rückkehr des von Bewusstsein befreiten Menschen zur Natur – der so eine ganz neue Innigkeit zur Kreatur gewinnt. Doch just aus dieser Reduktion der Sinne und des Sinns erwächst dem Ton der Redenden unerwartet, sie selber erschütternd, eine große appellarische Dringlichkeit, sie lebt auf in anklagescharfer Verbindlichkeit und anrührend zornesweher Widerstandskraft.

Wie abwesend und doch genau im Kern der Dinge spricht sie über Leben und Tod. Eines Tages bleibt der Wecker stehen, »ich habe es in der Hand, die Zeit zu ermorden«. Eine Seherin, dazu geworden durch Not, durch das, was allen die Augen aufgehen lässt. Sie wird einem Kalb in die Welt helfen und einen Eindringling erschießen. Sie wird am Ende der Kräfte Kraft haben. Oder auch nicht. Immer schwingt bei Cornelia Schmaus, die plötzlich ein hartflehendes Gesicht wie die Weigel hat, eine Ahnung mit vom Rätsel hinter dem Existieren. Ein großes, tragisch umschattetes Solo zwischen vier weißen Wänden. Schübe denkerischer Leidenschaft inmitten erschöpfender, tapferer Organisation verlorenen Lebens. Ein Theaterabend, dem man sich viele Orte wünscht, angemessen der zarten Wucht dieser bestechenden Schauspielkünstlerin. Die zudem ein Stück bedrängender Literatur aus dem Vergessen riss, einen Roman, der apokalpytische Hellsichtigkeit mit Trauerdunkel verbindet, Barmherzigkeit mit rebellischem Geist.

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