PLATTENBAU

  • Michael Saager
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Wahrscheinlichkeit, in der guten Stube der Großeltern während eines Champions-League-Endspiels von einem Kugelblitz überrollt zu werden, ist vermutlich höher als die einhellige Begeisterung für ein- und dasselbe Pop-Produkt. Umso erstaunlicher, wenn Letzteres doch einmal vorkommt. Seit ein paar Wochen veritabler medialer Jubelanlass ist »Bourgeois With Guitar«, das Soloalbum des 47-jährigen Hamburger Musikers Kristof Schreuf. Ein sympathischer und kluger Mensch, der sich reizend freut, wenn man ihm sagt, dass man das Album sehr gelungen findet. Andererseits: Die große Pose ist Schreuf ohnehin fremd; das wird wohl auch so bleiben.

Schreuf ist nicht irgendwer. Darüber erklärt sich ein Teil der öffentlichen Erregung. Kann gut sein, dass es die Hamburger Schule ohne ihn, ohne die tolle Gitarrenschrammelband Kolossale Jugend (1989–1991) nie gegeben hätte. Schreuf sangbrüllte bei Kolossale Jugend und später in der Gruppe Brüllen poetisch verschlüsselte Texte, die gleichwohl politisch zu lesen waren. Legendär die Zeile: »Was ich noch zu sagen hätte/ dauert eine Zigarettenfabrik«. Wäre einem wie Reinhard Mey nie in den Sinn gekommen, dass die Welt der Gedanken sich länger drehen könnte als eine Zigarette lang.

Auf »Bourgeois With Guitar« wird kaum deutsch gesungen. Im sagenhaft schönen Titelstück, einer der wenigen Eigenkompositionen der von Produzent Tobias Levin mit magischen Kräften zum Fliegen durch weite Räume gebrachten Platte, heißt es bildhaft geheimnisvoll: »Ich bin ein Bourgeois/ with a guitar/ Ich sehe aus wie ein Mensch/ damit man mich erkennt/ aber vom Kopf bis zu den Zehen/ bin ich ein Riss, ich will durch Wände gehen«.

Schreuf, dem »das Authentische« der Kunst so schnuppe ist wie popdiskursives Geraune vom »Nicht-Authentischen« hat vor allem Folgendes getan: Er hat sich berühmte Rock- und Pop-Songs geschnappt und ihnen, wie er es nennt, »einen anderen Anstrich, eine neue Richtung« gegeben. Frei nach dem Prinzip des (eher seltenen) fantasievollen DJ-Mixes, der keine falsche Ehrfurcht kennt vor Originalen; wo spielerisch gefühlvoll kombiniert, integriert, verwiesen oder dekontextualisiert wird.

»Search & Destroy« von The Stooges, AC/DCs »Highway To Hell«, Donna Summers »I Feel Love«, »A Walk In The Park« von One-Hit-Wonder Nick Straker. Diese und andere Songs hat Schreuf interpretiert und modifiziert. Die Texte der Stücke wurden variiert, teilweise neu erfunden. Hardrock- und Punkklassiker verlieren auf dem Album durch die reduzierte, folkpopartige Gitarrenbegleitung und Schreufs leisen Gesang ihre zwanghaften Macho-Allüren. Ein Disco-Ohrwurm wie »Last Night A DJ Saved My Life« verwandelt sich in eine Quelle zärtlichster Melancholie.

Von einer CD mit Coverversionen kann überhaupt nicht die Rede sein. Das Alte wird hier zu etwas Neuem, das umso fremdartiger erscheint, als das Hit-Selbstbewusstsein der Stücke durch ein nuanciertes Zaudern und Zweifeln ins Wanken gebracht wurde. Ein Riss geht durch diese Songs, durch ihr Pop-Gedächtnis. Und sie selbst gehen durch ihn hindurch. Man könnte neue Namen für sie erfinden.

Kristof Schreuf: »Bourgeois With Guitar« (Buback / Indigo)

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