NASA gräbt nach alten Daten

Mondfilme und Fernerkundungsbilder aus den 60er Jahren restauriert

  • Jacqueline Myrrhe
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Debatte ist heiß – ihr Gegenstand ziemlich kalt. Sicher ist, dass das Eis an den Erdpolen natürlichen Schwankungen unterliegt. Gestritten allerdings wird über den langfristigen Trend dabei. Zwar sieht die vorherrschende Strömung der Klimaforschung für die letzten Jahre ein deutliches Schwinden der Eismassen, doch für verlässliche Aussagen zur Ausdehnung der Polkappen bräuchte man Daten von globalen Satellitenüberflügen über einen längeren Zeitraum. Im Prinzip reichen die bis zur Mitte der 60er Jahre zurück. Doch oft sind die analogen Magnetbänder aus den Anfangsjahren der Raumfahrt verschwunden, überschrieben oder einfach nicht mehr mit heutigen Datenverarbeitungsgeräten lesbar.

Nachdem die US-Raumfahrtorganisation NASA vor einiger Zeit Schwierigkeiten hatte, die Filmaufnahmen der historischen Apollo-Mondmissionen zu lokalisieren, ist es einer Initiative von zwei beherzten US-Wissenschaftlern zu verdanken, dass man sich seit 2008 endlich wieder für die Daten früher Weltraumprojekte in der NASA interessiert. Als Konsequenz wurde das NASA-Projekt zur Rettung von Mondsatellitendaten (Lunar Orbiter Image Recovery Project – LOIRP) ins Leben gerufen. Anfangs ging es darum, Daten von frühen Mondmissionen zu sichern und – wenn möglich – neu aufzuarbeiten. Als dann aber das Team die Bits und Bytes der alten Mondsonden mit neuen Verarbeitungsprozessen zum Leben erweckte, war die Fachwelt von der hohen Qualität der Bilder – Dank modernster Datenverarbeitung – begeistert. Die Wissenschaftler und Ingenieure des LOIRP durchforsten nun systematisch alte Lager und Keller, um relevante Daten vor der Mülltonne zu bewahren. Für das Programm wurden auch pensionierte Datenspezialisten angeheuert, die mit vorsintflutlichen Festplatten in Kühlschrankgröße und alten Computerbandgeräten umgehen können. Anfang des Jahres gelang der rührigen Truppe die Entdeckung einer wahren Datenschatzkiste.

In einem verlassenen Fastfoodrestaurant auf dem Gelände des Ames Research Centers der NASA in Mountain View (Kalifornien) harrten unzählige Magnetbänder in Filmdosen der Verwertung … oder des Vergessens. Der Fundort brachte dem Unternehmen den Spitznamen »McMoon-Projekt«. Mit den Bändern vermag man die ältesten Fernerkundungsaufnahmen unseres Erdglobus zu rekonstruieren. Bislang hatte man wenig Datenmaterial aus der Zeit vor 1979. Nun haben die NASA-Leute ihre eigene Arbeit aus den sechziger Jahren wiedergefunden: Aus den Daten der polaren Orbiter »Nimbus II« von 1966 und »Nimbus I« (Start 1964) konnten globale Aufnahmen rekonstruiert werden und sind nun Zeugnis der weltweiten Veränderungen über einen Zeitraum von fast einem halben Jahrhundert.

Walt Meier, ein Forscher am Nationalen Schnee- und Eisdatenzentrum der USA in Boulder, Colorado, freut sich schon auf die komplette Veröffentlichung der »Nimbus«-Daten: »Wir haben die Hoffnung, mit den Daten von ›Nimbus‹ einen Blick auf die Eisbedeckung der Pole in den 60er Jahren werfen zu können und auf dieser Grundlage dann die monatliche Eisverteilung von heute bis zurück nach 1964 zu bestimmen. Wir warten nur noch darauf, dass die LOIRP-Leute endlich fertig werden.«

Dies ist eine der Erfolgsgeschichten einer neuen Forschungsrichtung: Technikarchäologie – die Rettung und erneute Verarbeitung von Daten aus alten Speichersystemen.

William Carey, heute Wissenschaftler für die Europäische Raumfahrtorganisation ESA, kann sich noch an sein erstes Weltraumexperiment erinnern. 1982 leitete er ein Team der Universität Kent (Großbritannien), das eine Auffangfolie für kosmischen Staub mit der Space-Shuttle-Mission STS-3 fliegen lassen konnte. Dies war zugleich das erste europäische Experiment auf einem Space Shuttle überhaupt. Nach der Landung der Raumfähre »Columbia« erhielten die Forscher nicht nur die durchlöcherte Folie zurück, sondern buchstäblich einen Schrank voll mit Datenbändern. »Das waren sicherlich 30 Filmdosen. Wir haben diese Daten eigentlich nie genutzt. Denn unser Experiment war eine passive Versuchsanordnung zum Einfangen von Staubpartikeln. Für uns war es wichtiger, die Folie mit den Einschlägen zurück zu bekommen. Aber jedes Team bekam damals diese Bänder. Ich habe keine Ahnung, wie mit diesen Daten verfahren wurde. Schade eigentlich! Aus heutiger Sicht sicherlich spannend da wieder reinzuschauen, aber für unsere Ergebnisse damals, die übrigens exzellent waren, unerheblich.«

Auf europäischer Ebene wurde das Problem vor vier Jahren erkannt. 2006 hat die Europäische Raumfahrtorganisation ESA die Initiative für koordinierte Aktionen zur Langzeitdatensicherung von Erdbeobachtungsdaten ergriffen. Als Resultat wurde das LTDP (Long Term Data Preservation Framework) definiert, ein System von Prinzipien und Richtlinien zur standardisierten Datenarchivierung von Erdbeobachtungsdaten der ESA-Mitgliedsländer. Das LTDP kann als ein Netzwerk der Mitgliedsländer gesehen werden, in das auch die bestehende Infrastruktur der Teilnehmer eingebracht wird.

Frithjof Barner von der Neustrelitzer Firma Euromap, die Erdbeobachtungsdaten von der Flotte der indischen Fernerkundungssatelliten IRS vermarktet, bringt es auf den Punkt: »Datenspeicherung kostet auch Geld. Es ist nicht nur die fachgerechte Lagerung sondern eben auch die Verarbeitungstechnik und das Personal, was benötigt wird. Je nachdem wie eine Organisation den Wert der Daten einschätzt, wird man sich um die Archivierung bemühen.«

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