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Jetzt heißt es nach vorne schauen

Lothar Bisky und Oskar Lafontaine ziehen sich von der Parteispitze zurück. Das muss die Linkspartei erst noch verkraften

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 9 Min.

Kein Blatt Papier schien zwischen die beiden zu passen, als sie im März vor die Presse in Berlin traten. Kein Blatt dieses Programmentwurfes jedenfalls, den sie vorstellten. Dabei war bis zum letzten Moment ungewiss, ob Lothar Bisky und Oskar Lafontaine, die beiden scheidenden Parteivorsitzenden, ihre letzte große Aufgabe überhaupt erledigen würden.

Niemand hatte laut aufgemuckt, aber als Chefs der Programmkommission hatten sie keine Eile an den Tag gelegt. Oskar Lafontaine hatte immer erjklärt, dass die LINKE es programmatisch bereits jetzt mit jeder Konkurrenz aufnehmen könne. Zuletzt wurde die Zeit knapp: Die 16-köpfige Programmkommission schien zu keinem Kompromiss zu finden, zwei Entwürfe standen sich gegenüber.

Bisky und Lafontaine verlassen den Parteivorsitz, Bisky widmet sich seinen Aufgaben als Vorsitzender der Europäischen Linken und der Fraktion im EU-Parlament, Lafontaine zieht sich nach überstandener Krebsoperation in den Saarbrücker Landtag zurück. Der Programmentwurf war ihre letzte gemeinsame Verkündigung. Der Kommission war doch noch die Einigung auf einen gemeinsamen Entwurf gelungen. Doch es folgte kein triumphaler Auftritt zweier Parteichefs in einem entscheidenden Moment für Gefolgschaft und Öffentlichkeit. Wie zwei vorzeitig gealterte Schuljungen wirkten sie, froh, dass das endlose Nachsitzen jetzt, nach diesem Wochenende im März, ein Ende hatte.

Drei Jahre ist es immerhin fast her, dass die LINKE sich neu formiert hat aus den Vorgängerparteien PDS und WASG. Drei Jahre, in denen es immer weniger gelungen ist, mit dem Verweis auf die 2007 beschlossenen Programmatischen Eckpunkte die Rufe nach einem Grundsatzprogramm zum Schweigen zu bringen. Und immer größer war der Verdacht geworden, die offenen Fragen, denen die Partei immer wieder begegnete, könnten eine unüberwindliche Kluft sein in den Reihen derer, die sich da zur neuen linken Kraft in Deutschland erklärt hatten.

Diese Gefahr ist real. Wie zu erwarten war, ist die Partei nach jenem März-Wochenende in Bewegung geraten. Die beiden Vorsitzenden scheinen damit nichts mehr zu tun zu haben. Ein Vermächtnis ist es, das sie hinterlassen haben. Bisky und Lafontaine haben sich mit dem Dokument eine Art Denkmal gesetzt und werden sich nicht wehren können, wenn es gekippt wird. Doch mit einer solchen Möglichkeit scheinen sie nicht zu rechnen. Allenfalls sprachliche Veränderungen erwarte er, nicht Korrekturen im Grundsätzlichen, sagte Bisky freundlich auf eine Nachfrage. Doch schon kurz darauf haben Reaktionen eingesetzt, von denen man nicht behaupten kann, dass sie respektvoll und zurückhaltend wären.

Lafontaine habe dem Papier seinen Stempel aufgedrückt, lautet der mediale Vorwurf, der seine Wirkung in der Partei nicht verfehlt und dort zugleich reichlich neue Nahrung findet. Auf einen Vorwurf, dass Bisky im Programmentwurf seinen Stempelabdruck hinterlassen haben könnte, würde niemand kommen. Weil Bisky keine aufrührerischen Gedanken hegt?

Doch, das tut er. Wenn er mitten im Niedergang der SPD eine künftige Zusammenarbeit beschwört, ist das in seiner Partei nicht weniger unkonventionell. Lafontaine verwendet nur andere Mittel, wenn er seine ehemalige Partei angreift. Er hat noch nie ein Hehl aus seinem Wunsch gemacht, dass die SPD wieder so werden möge wie früher, als sie die Partei von Willy Brandt war.

Doch Teile der LINKEN, vor allem im Osten, sehen das nicht so wohlmeinend. Sie stört, dass Lafontaine radikaler, revolutionärer redet, als sie nach 17 Jahren PDS noch gewohnt waren zu denken – der Sozialdemokrat. Radikaler sowieso als Bisky, der zu DDR-Zeiten sicher nicht widersprochen hätte, Kommunist zu sein. Wegen der überwiegenden Herkunft der Wortführer unter den Kritikern wird der Konflikt gern als Ost-West-Konflikt wahrgenommen. Dabei ist das eher der Schein. Ehemalige Funktionäre der PDS sehen vielmehr die alten Konflikte aufbrechen, die sie bereits für sich entschieden hatten.

Als ihre Partei im Herbst 2002 nach der Bundestagswahl in eine tiefe Krise geriet, schienen sie, die sich als Reformer sahen und von ihren Gegnern in der Partei Realos genannt wurden, eine Zeitlang zu unterliegen. Was folgte, war jedoch noch weit schlimmer als die Zerwürfnisse im Vorfeld. Persönliche Animositäten und Machtansprüche in der neuen Parteiführung stellten die in der alten noch in den Schatten und brachten die Partei damals an den Rand des Ruins. Inhaltlich ging es um den Streit, wie reformierbar dieses System sei, in dem man sich als sozialistische Partei zu etablieren suchte. Um diesen Streit geht es auch heute. Lothar Bisky war es damals, der die Partei rettete, indem er an ihre Spitze zurückkehrte. Unter seiner Führung kehrten auch die Reformer zurück.

In einem Papier zum aktuellen Programmentwurf wird der Vorwurf des »Neokommunistischen« erhoben. Er richtet sich an den Sozialdemokraten Lafontaine. Was Lafontaines parteiinterne Gegner von ihm unterscheidet, ist ihr Anspruch einer notfalls bescheidenen Einflussnahme auf die heutige, reale Politik. Unter Lafontaines Einfluss sehen sie sich zu großen Bekenntnissen genötigt, bevor sie politisch aktiv werden dürfen. Sie wollen keine ehernen Bedingungen an Regierungsbeteiligungen stellen, sondern diese aushandeln, wenn es konkret wird.

Lafontaines Realo-Kritiker sehen Bisky als einen der Ihren. Auf ihre Seite schlägt er sich gleichwohl öffentlich nicht. Wenn Lafontaine auf der letzten Etappe seines politischen Lebens zu neuer Radikalität fand, wenn dies die Konsequenz aus seinen Erfahrungen an der Spitze einer sozialdemokratischen Partei und des Staates ist, so hat Lothar Bisky formal andere Schlüsse aus seinem Leben gezogen. Sich in der Selbstgewissheit eigener Unfehlbarkeit an den Rechten anderer zu vergehen – das ist das Grundübel, das er mit der DDR weit hinter sich gelassen hat.

Und doch haben beide, Bisky und Lafontaine, den unversöhnlichen Teilen ihrer Anhängerschar etwas voraus, das an diesem Wochenende im März sichtbar war: gegenseitigen Respekt. Lafontaine hat sich diesen Respekt sein Leben lang immer wieder erarbeitet. Ihn einen Sektierer zu nennen, wäre auch albern, der Mann weiß zu gut, wie man konkrete Machtoptionen schafft und für sich ausnutzt. Und Lafontaine bekundet, auch dank Bisky ein wenig besser zu verstehen, wie der Osten tickt. Der Bonus braucht sich jedoch auf, der ihm eingeräumt wurde, als er in seiner ersten Rede vor der PDS spontan das Rednerpult verließ, weil er Hans Modrow erspäht hatte. Selbst bei jenen, die gegenüber dem damaligen Ehrenvorsitzenden der Partei ihre Vorbehalte pflegten, hinterließ die folgende Umarmung einen tiefen Eindruck

Bisky und Lafontaine beweisen, dass es geht. Dass man sich einigen kann. Sie sind der Beweis. Denn zwischen die beiden passt weit mehr als das sprichwörtliche Blatt Papier. Bisky und Lafontaine könnten nicht unterschiedlicher sein.

Ihr Weg in die Politik liegt Welten auseinander. Nicht nur um jene Weltsysteme, aus denen sie kommen. Lothar Bisky, Wissenschaftler und Medienfachmann, ist erst mit reichlich 50 Jahren in die hauptamtliche Politik geraten – als seine Bestimmung hat er dies nie empfunden. Als Bisky im Jahr 2000 nach sieben Jahren schon einmal als Vorsitzender der PDS ausschied, tat er das eigentlich nicht, um drei Jahre danach zurückzukehren. Er handelte aus Disziplin. Sein Bekenntnis, es werde Zeit für die Erholung im Garten, klang schon damals eher nach einem Seufzer als nach einem realen Plan.

Oskar Lafontaine, 1943 geboren, ist zwei Jahre jünger, aber viel länger Berufspolitiker als Bisky. Mit 26 Jahren wurde er Landtagsabgeordneter, mit 32 Jahren war er Oberbürgermeister von Saarbrücken, mit 34 SPD-Landesvorsitzender, mit 41 Ministerpräsident des Saarlandes, mit 46 Kanzlerkandidat. Ob als SPD-Parteichef oder Minister der Bundesregierung – immer haftete Lafontaines Erfolg jedoch zugleich der Ruch des Unberechenbaren an. Er war Gegner des NATO-Doppelbeschlusses, als der er den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO forderte. 1995 kaperte er im Handstreich den Parteivorsitz, indem er Amtsinhaber Rudolf Scharping mit einer fulminanten Rede auf einem Parteitag vom Sockel stieß.

Übervater für die Linken in seiner Partei, stieß Lafontaie viele Sympathisanten zugleich vor den Kopf, als er Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich forderte oder ein Gesetz im Saarland herbeiführte, in dem er nach Meinung der Kritiker die Pressefreiheit einschränkte. Auch seine Skepsis gegenüber der Vereinigung der beiden deutschen Staaten beförderte das Misstrauen in Teilen der Öffentlichkeit wie seiner Partei. Seine Karriere hindurch verfolgten ihn die Medien in der Gewissheit, dass bei ihm eine Schlagzeile zu holen sei.

Als einen »zerstörerischen und verantwortungslosen Charakter« hat Scharping seinen einstigen Kontrahenten in einem späten verbalen Racheakt für die Entmachtung von Mannheim einmal genannt. Mit einem solchen Urteil würde Bisky nicht einmal einen Feind öffentlich bedenken. Für Lafontaine ist die Wortwahl, mit der er von seinen einstigen Genossen in der SPD bedacht wird, wohl eher tolerabel. Dabei gehen die Meinungen noch immer auseinander, ob Lafontaines wortloser, fluchtartiger Abschied aus der Bundesregierung und vom Parteivorsitz der SPD 1999 eher ein Akt der Tapferkeit oder der Feigheit war. Zumindest war es ein Akt ganz nach Lafontaine – eine Unterwerfung unter Gerhard Schröder und dessen als Verrat empfundene Politik kam nicht in Frage.

Lafontaine und Bisky – einer sucht den Streit, der andere schlichtet ihn? Auch Lothar Bisky kennt das Spiel der Macht. In ungewohnter Deutlichkeit hat er mit Gysi vor dem Gründungsparteitag der LINKEN 2007 den Versuch von Sahra Wagenknecht unterbunden, als Vizevorsitzende der neuen Partei zu kandidieren. Die in den Medien verfemte Galionsfigur der Kommunistischen Plattform gilt als politische Vertraute Lafontaines, am Wochenende kandidiert sie in Rostock erneut für diese Funktion. In Biskys Augen hat sich Wagenknecht geändert, nicht die Partei.

Für die Reformer im Osten mag es ein Dejá-vu sein. Aber dass es eine Partei mit bundesweitem Gewicht ist, in der sie nun erneut die alten Kämpfe austragen, dass wissen sie zu schätzen. Und sie verdanken es vor allem ihm – Lafontaine. Auch das wissen sie.

Es kann nicht ohne Streit ausgehen, das ist klar. Aber wie er geführt wird, das ist entscheidend. Für Bisky jedenfalls. Wegen so etwas kann er sogar einen Wutausbruch bekommen. Als nach wochenlanger Schlammschlacht um Lafontaine und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch der alte Vertraute Gregor Gysi mit einer Schuldzuweisung an den alten Freund dafür sorgte, dass Bartsch sich zurückzog, fand Bisky ungewohnt deutliche Worte. Ohne einen Adressaten zu benennen, sprach er von Stalinismus. Ein ungeheuerlicher Vorwurf aus dem Munde des Vorsitzenden. Man hat nichts wieder darüber gehört ...

Mit Lafontaine und Bisky verlassen am Wochenende zwei Männer die Parteispitze, auf die die LINKE bisher nicht verzichten konnte oder wollte – weil sie so verschieden sind. Lafontaine hat für einen beispiellosen Aufschwung der LINKEN gesorgt, Bisky bemühte sich, dass dabei niemand verloren geht. Wahrscheinlich sehen sie selbst ihren Abgang nicht so dramatisch wie viele Mitglieder der Partei. Vielleicht sind sie gar froh, dass sie sich jetzt los sind. »Die SPD ist eine Linkspartei«, hat Lafontaine in seiner Putschrede in Mannheim 1995 gesagt – damals eher ein Wunsch. Den hat er sich dann später mit einer eigenen Partei erfüllt. Deren Spitze überlässt er jetzt anderen. Da heißt es nach vorn zu schauen. Für die Neuen.

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