Israel sollte Farbe bekennen
Neuer Anlauf zu Kernwaffenfreiheit in Nahost
Das Projekt einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten könnte über Erfolg oder Scheitern der zurzeit in New York tagenden Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag entscheiden. Gleich zu Beginn forderte Ägyptens Außenminister Ahmed Abul Gheit, die Konferenz müsse ein Vorbereitungskomitee einsetzen, damit im kommenden Jahr Verhandlungen darüber beginnen könnten. US-Außenministerin Hillary Clinton versicherte, Washington würde »praktische Maßnahmen unterstützen«, um dieses Ziel zu erreichen. Hinter den Kulissen verhandeln die Diplomaten nun intensiv über eine allgemein annehmbare Formulierung
Angesichts des bisher weitgehend tolerierten Atomwaffenbesitzes Israels hat das Vorhaben vor allem für die arabischen Staaten lebenswichtige Bedeutung, und nicht zu Unrecht werfen sie dem Westen Doppelmoral vor. Darum hatten sie, als 1995 über die unbefristete Verlängerung des Sperrvertrags zu entscheiden war, ihre Zustimmung von einer Resolution zur Schaffung einer kernwaffenfreien Zone in Nahost abhängig gemacht. Doch bisher ist wenig zur Verwirklichung dieser Idee geschehen.
Die Zonenidee stammt ursprünglich von Iran. Ägyptens Präsident Hosni Mubarak weitete das Konzept später auf die Beseitigung aller ABC-Massenvernichtungswaffen in der Region aus. Obwohl Israel inzwischen seinen anfänglichen Widerstand aufgab, herrscht weiterhin Uneinigkeit über den Weg zu diesem Ziel. Die arabischen Staaten fordern als Ausgangspunkt den Verzicht Israels auf Atomwaffen. Jerusalem dagegen sieht eine massenvernichtungswaffenfreie Zone erst am Ende eines Friedensprozesses. Notwendig seien zunächst Vertrauensbildung, die Regelung territorialer Streitfragen und der Aufbau kooperativer Beziehungen.
Wie realistisch sind die Chancen, und worin könnte ein neuer Anlauf bestehen? Erfolgreich können die Bemühungen nur sein, wenn sie den sicherheitspolitischen Gesamtkontext der Region berücksichtigen. Seit der Staatsgründung vor über 60 Jahren herrscht in Israel die Angst, mit einer Bevölkerung von sechs Millionen den über 200 Millionen Arabern und Muslimen in der Region unterlegen zu sein. Aus israelischer Sicht ist die nukleare Abschreckung wegen der fehlenden strategischen Tiefe des Landes und seiner geringen Bevölkerungszahl die einzige Möglichkeit, die eigene Existenz dauerhaft zu sichern.
Israels Regierung verfolgte lange eine Strategie der atomaren »Undurchsichtigkeit«: Sie gab den Besitz von Kernwaffen weder zu noch stritt sie ihn ab. Das Land soll nach Schätzungen bis zu 300 nukleare Sprengköpfe besitzen, keine der israelischen Nuklearanlagen untersteht der Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde.
Unter Hinweis auf die eigene Bedrohung ist Israel weder dem Atomwaffensperrvertrag noch dem Biowaffenabkommen beigetreten. Chemiewaffenkonvention und Atomteststoppvertrag wurden unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Das verunsichert die Nachbarn und könnte letztlich ein nukleares Wettrüsten in der Region mit unabsehbaren Folgen auslösen. Denn mit dem Kernwaffenbesitz Israels legitimieren arabische Staaten offene oder verdeckte Bemühungen um eigene atomare, biologische oder chemischen Waffen.
Trotz vieler Rückschläge gab es in den vergangenen Jahren aber auch ermutigende Tendenzen. So erklärte Libyen seinen Verzicht auf Massenvernichtungswaffen und öffnete sich internationalen Abrüstungskontrollen. Gerade wurde ein neuer Anlauf zum zunächst indirekten israelisch-palästinensischen Dialog unternommen. In Verhandlungen mit Iran könnte zumindest eine Zwischenlösung in Gestalt einer Vereinbarung über das zeitweilige Aussetzen oder die Auslagerung der Urananreicherung erreicht werden.
Ein weiterer hilfreicher und vertrauensbildender Schritt wäre der Beitritt der bisher abseits gebliebenen Staaten der Region zu den Verträgen über das Verbot biologischer und chemischer Waffen. Der Verzicht auf die Erprobung von Kernsprengsätzen im Teststoppvertrag würde zusätzlich eine nicht auf Atomwaffen zielende Politik bestätigen. Die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China versicherten in einer gemeinsamen Erklärung ihre Unterstützung für das Zonenprojekt und die Bereitschaft, alle Vorschläge zu diskutieren, um Schritte in Richtung einer kernwaffenfreien Zone in Nahost zu gehen.
Wenn es dann noch gelingt, Einigkeit über einen Sonderkoordinator und ein Verhandlungsgremium zu erzielen – möglicherweise eine regionale Sicherheitskonferenz nach dem Vorbild der KSZE – wäre ein realer Fortschritt in Richtung einer kernwaffenfreien Zone in Nahost möglich. Diese Aussicht scheint nicht völlig unrealistisch zu sein. Medienberichten zufolge haben in Kairo bereits im Herbst inoffizielle Gespräche zu diesem Thema stattgefunden. Sowohl Abgesandte Irans und Israels als auch Vertreter Ägyptens, Jordaniens, Tunesiens, Marokkos, Saudi-Arabiens, der USA und der EU sollen daran teilgenommen haben.
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