Evo Morales nimmt auch am Gegengipfel teil
Trotz der Krise und aller Proteste halten die Staatschefs der EU am tradierten Wirtschaftsmodell fest
Die Zeichen setzt in Madrid bisher der Gegengipfel »Enzalando Alternativas« (Alternativen verbinden). Mit einer Großdemonstration gegen den Kapitalismus in Europa am Sonntag und dem »Permanenten Tribunal der Völker«, das am Montag zu Ende ging, wurde den Staatschefs vor dem EU-Lateinamerikagipfel der weit verbreitete Unmut dokumentiert.
27 transnationale Unternehmen waren angeklagt. Während die offiziellen Delegationen aus Lateinamerika und der Europäischen Union in Madrid zu ihrem zweijährlichen Gipfel eintrafen, wurde am Montagvormittag das Urteil des »Permanenten Tribunals der Völker« im Rahmen des Gegengipfels »Enlazando Alternativas« verlesen.
Wie bereits während der Doppelgipfel 2008 in Lima und 2006 in Wien standen die Auswirkungen neoliberaler Wirtschaftspolitik und die konkreten Verletzungen von Menschen-, sozialen und ökologischen Rechten durch die Unternehmen im Mittelpunkt. Zumeist geht es um Fälle in Lateinamerika, wo die transnationalen Unternehmen europäischen Ursprungs ohne ernsthafte Auflagen oder effektive staatliche Kontrolle ihrem Gewinnstreben nachgehen können. Angeklagt waren unter anderem der Konzern Thyssen Krupp, der in Südbrasilien ein Stahlwerk baut, ohne die Umweltauflagen und geltende Arbeitsrechte einzuhalten. Bayer wurde wegen seiner Aktivitäten in Peru im Bereich der Agrarindustrie angeklagt. Und bei Repsol ging es um die Förderung von Erdöl und Gas in Bolivien und Ecuador.
Bei der Urteilsverkündung wurde hervorgehoben, dass auch bei diesen symbolischen Prozessen die Opfer ins Blickfeld gerückt werden müssen, »diejenigen, die oftmals ihre Lebensgrundlage verlieren, ohne dass die Verursacher dafür zur Rechenschaft gezogen werden«. Ebenso wurde deutlich gemacht, dass »die politisch Verantwortlichen der EU als Komplizen der unmittelbaren Täter gesehen werden müssen, wenn sie mittels Freihandelsabkommen oder öffentlicher Kreditvergabe die systematischen Verletzungen von Menschen- und Arbeitsrechten in Lateinamerika befördern«, erklärte Marcos Aruda, brasilianischer Wirtschaftswissenschaftler und Jurymitglied.
Für Montagnachmittag war ein Treffen zwischen dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales und den sozialen Bewegungen in Madrid geplant. Morales ist das einzige Staatsoberhaupt, das neben dem offiziellen Gipfelprogramm auch den Alternativgipfel besucht.
Überraschend hatten der Venezolaner Hugo Chávez und Pepe Mujica aus Uruguay ihre Teilnahme am VI. Gipfeltreffen zwischen den Staaten Lateinamerikas und der Karibik sowie der EU abgesagt. Raúl Castro aus Kuba hatte schon zuvor kein Interesse an dem Gipfel bekundet. Von europäischer Seite haben lediglich der neue britische Premier David Cameron, Italiens Silvio Berlusconi und Giorgos Papandreou aus Griechenland nicht definitiv zugesagt.
In der Praxis besteht dieser Gipfel aus mehreren Einzeltreffen entsprechend den Länderblöcken in Lateinamerika und dem Stand der Verhandlungen mit der EU. Es begann am Sonntag mit dem Treffen EU-Mexiko, wo es um die Festigung des ersten von der EU mit einem lateinamerikanischen Staat geschlossenen Freihandelsvertrages ging. Am Montag war Chile an der Reihe, auch mit diesem Land hat die EU bereits ein bilaterales Abkommen. Danach standen Gespräche mit den Karibikstaaten und schließlich mit dem Gemeinsamen Südamerikanischen Markt Mercosur auf dem Programm.
Am Dienstag werden alle Delegationschefs zusammenkommen, dabei werden eventuell neue Abkommen zwischen der EU und Kolumbien beziehungsweise Peru unterzeichnet. Erst am Mittwoch ist Zentralamerika an der Reihe, und mit dabei der umstrittene Präsident Porfirio Lobo aus Honduras.
Die Teilnehmer des Gegengipfels haben geplant, auch während der offiziellen Galaveranstaltung der Staatsoberhäupter mit Aktionen auf sich aufmerksam zu machen. Die Behörden haben bereits deutlich gemacht, dass sie hart durchgreifen werden. So bleiben die Gegensätze ein weiteres Mal gewahrt – hier die Regierungen, die immer noch auf das gleiche, krisenanfällige Wirtschaftsmodell setzen; dort die organisierte Zivilgesellschaft, die eben diese Regierungen und deren ausführende Unternehmen auf die Anklagebank des Tribunals setzt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.