Majestätischer Ozean
Sprüth Magers präsentiert Werke von Andreas Gursky
Menschen stehen vor riesigen, zweieinhalb mal dreieinhalb Meter messenden Bildtafeln. Sie werden förmlich hineingesogen in den nachtblauen Schlund, der sich im Zentrum dieser Bilder eröffnet. Es handelt sich um das Blau der Ozeane, das der Düsseldorfer Monumentalfotograf Andreas Gursky in die weiten Räume der Galerie Sprüth Magers in der Oranienburger Straße eingelassen hat. Gursky, der gern menschliches Gewimmel an Stränden, in Fabriken und in Börsensälen so einzufangen pflegt, dass die Individuen zu Elementen eines elektronischen Schaltkreises schrumpfen, hat sich auf die Höhe einer Satellitenumlaufbahn geschraubt.
Die Bilder, die aus dieser erhabenen Perspektive gemacht werden, deuten schon die Krümmung der Erdoberfläche an. Gleichzeitig sind sie aber so fein aufgelöst, dass topografische Details der Landmassen wie die Züge eines alten, gelebten Gesichts scharf ins Auge stechen. Schon dies ist eindrucksvoll.
Gursky allerdings hat zwei weitere Verarbeitungsschritte unternommen. Er drängte die Landmassen ganz an den Rand des Bildes. Alaska und der japanische Inselbogen begrenzen im Bild »Ocean V« den Pazifik. Neuseeland und Australien auf der linken, die chilenische Küste auf den rechten Seite fassen ihn in »Ocean III« ein. Die Spitzen von Grönland und Neufundland und die gerundeten Flächen von Island einem Rand der Iberischen Halbinsel fahren in den Atlantik, dargestellt in »Ocean II«, hinein.
Die Hauptsache des Zyklusses »Ocean I – VI« sind die Meere selbst. Sie umspülen nicht die Gestade, sondern sind das zentrale Objekt. Zuerst muten sie wie eine unterschiedslose monochrome tiefblaue Masse an. Stellt sich das Auge ein, nimmt es Schattierungen wahr. Sie können durch den Wind, der über das Wasser fegt, provoziert worden sein, durch die Bergrücken auf dem Meeresboden, deren Form sich bis nach oben abzeichnet. Vielleicht existieren die Ursachen dieser Schattierungen aber auch nur in der Imagination Gurskys. Denn in dieser Werkgruppe hat der Fotograf digital gemalt. Die Satellitenaufnahmen lieferten ihm nur das Land. Das Wasser dazwischen hat er Pixel für Pixel selbst gestaltet. Eine gigantische Aufgabe, wenn man die Größe der Bilder, die fast vollständig aus dem Blau des Wassers bestehen, in Rechnung stellt.
Gursky ist ein majestätisches Werk gelungen. Er hat das Element, das für das Leben auf der Erde sorgt, das aber gleichzeitig die Neigung hat, die auf zwei Beinen wankenden Landbewohner zu verschlingen, in seiner Größe, seiner Schönheit und auch seiner Unheimlichkeit in den sicheren Raum einer Galerie transferiert. Und so stehen die Besucher dann auch beeindruckt vor den großen Wassermassen. Gleichzeitig krallen sie sich an das Land fest. Ihre Finger weisen auf die Küstenlinien. Dort versuchen sie etwas zu entdecken und einen Halt zu finden angesichts des gewaltigen blauen Universums.
In einem zweiten Raum hat Gursky eine Komplementärarbeit untergebracht. Sie zeigt das gefrorene Wasser der Antarktis. Scharf zacken die weißen Ränder in das Meer. Wie feinster Puderzucker stäuben Eis und Schnee durch die Luft. Ein paar weiße Punkte – gewiss Eisberge – lösen sich von dem kompakten Muttergebilde. Die feste Form bietet dem schwankenden Auge einen Ankerplatz. Wer sich bei »Ocean I - VI« verliert, kann sich bei »Antarctic« wiederfinden.
Gursky ist die Idee zu dieser Arbeit während eines Fluges nach Australien beim Betrachten des Monitors, der den Weg des Flugzeuges aufzeichnete, gekommen. Da er nicht selbst auf eine erdnahe Umlaufbahn aufstieg, musste er sich fremder Fotos bedienen. Man mag enttäuscht sein, dass seine das reale Meer suggerierenden Ansichten nur Produkte einer digitalen Bearbeitung sind. Aber dennoch ist dem Künstler, dessen Name womöglich nicht ganz zufällig mit dem Buchstaben »G« wie »Gott« und auch »Google Earth« beginnt, ein ganz großer Wurf geglückt.
Bis 11.6., Sprüth Magers, Oranienburger Straße 18, geöffnet Di. - Sa. von 11 - 18.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.