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»Krieg darf nicht mehr sein ...«

Vor 90 Jahren ermordet: Hans Paasche, Offizier, Pazifist, Revolutionär und erster Grüner Deutschlands

  • Helmut Donat
  • Lesedauer: 6 Min.
Hans Paasche mit seiner Braut Ellen
Hans Paasche mit seiner Braut Ellen

In der Auseinandersetzung um den Klimawandel, den Schutz der Natur und Umwelt oder um den Krieg in Afghanistan ist es nicht ohne Reiz, an den vor 90 Jahren von rechtsradikal gesinnten Reichswehrsoldaten ermordeten deutschen Marineoffizier, Pazifisten und Revolutionär Hans Paasche zu erinnern. Auf seinem Grabstein steht nicht gestorben, sondern »gefallen am 21. Mai 1920« – ein Hinweis darauf, dass sich die deutsche Gesellschaft zumindest geistig weiter im Kriegszustand befand. Wäre es aber nach ihm, dem Sohn des nationalliberalen Reichstags-Vizepräsidenten Hermann Paasche gegangen, so hätte man nach den 1978 wieder ausgegrabenen Marmorstatuen der Berliner Siegesallee vergeblich gesucht. Als Mitglied im Vollzugsrat des Arbeiter- und Soldatenrats wollte er im November 1918 die »Puppen« preußischer Größe in die Luft sprengen lassen.

Nach seinem Tode ließen seine Gegner keine Gelegenheit aus, ihn als »Narr« und »Geisteskranken« zu verleumden. Warum? Paasche gehörte zu den wenigen Militärs, die bereits während des Ersten Weltkriegs dem Irrweg preußisch-deutschen Machtwahns ein Ende bereiten wollten. Dennoch oder deshalb ist er von den Deutschen vergessen worden – zu Unrecht.

Mit 25 Jahren war Paasche – damals Erster Offizier auf dem Kreuzer »SMS Bussard« – bereits »Herr über Provinzen« und »selbstständiger Feldherr« in Deutsch Ostafrika, wo er 1905 Aufstände der eingeborenen Bevölkerung niederwerfen musste. Dabei kamen ihm erste Zweifel an der deutschen Offiziersehre. Die Mentalität vieler Kameraden – »der Neger müsse Prügel haben« – ekelte ihn an. Er wurde Zeuge einer Gefangenenermordung. Nachdem und weil deutsche Truppen aus dem Hinterhalt beschossen worden waren, wurden Eingeborene zum Tod durch den Strang verurteilt, obwohl sie vor dem Kriegsgericht ihre Unschuld beteuerten und die Richter das Kisuaheli der Angeklagten nur schlecht verstanden.

Mit der Jagd auf Menschen wollte Hans Paasche fortan nichts zu tun haben. Statt dessen wurde er zum Großwild- und Steppenjäger. Er schlich sich in Elefantenherden ein, spürte Nashörner, Löwen, Büffel, Krokodile und Flusspferde auf, um sie aus nächster Nähe zu fotografieren. Diese Aufnahmen und seine Erlebnisse in Ostafrika veröffentlichte er 1907 in dem Buch »Im Morgenlicht«, das Paasche mit einem Schlage bekannt machte.

Obwohl wegen seiner Tapferkeit im Buschkrieg zum Kapitänleutnant befördert, reichte er bei der kaiserlichen Marine seinen Abschied ein und heiratete Ellen Witting, Tochter des pazifistisch gesinnten Bankiers und Geheimen Regierungsrats Richard Witting, dessen jüngerer Bruder als Maximilian Harden die »Zukunft« herausgab. Paasche, ein Sohn aus »gutem Hause«, der sich freimütig zu pazifistischen und sozialdemokratischen Auffassungen bekannte, fing an, sich für Frieden und Freiheit einzusetzen sowie gegen soziale Ungerechtigkeiten, Klassenherrschaft und Ausbeutung der Schwachen zu kämpfen. In der viel gelesenen und von ihm mitgegründeten lebensreformerischen Zeitschrift »Der Vortrupp« veröffentlichte er 1912/13 die »Briefe des Negers Lukanga Mukara« – sein populärstes Werk: kulturkritische Berichte eines gebildeten Afrikaners über eine fiktive Deutschlandreise, eine noch heute aktuelle Anklage der Zivilisation und des Kolonialismus mit der Botschaft, dass Afrika den Afrikanern gehört und die Deutschen kein Recht haben, ihre Lebensformen zu exportieren.

Es wäre nicht gar so falsch, wollte man Paasche »Deutschlands ersten Grünen« nennen, auch wenn die heutigen »Grünen« von ihm wenig bis nichts wissen wollen. Er schrieb gegen die »Federmode«, die ganze Vogelarten ausrottete, und forderte eine drastische Verminderung der Fangquoten für Robben. Gegen die zum Gesellschaftssport erhobenen Jagden in den Savannen und Steppen Afrikas wandte er sich ebenso wie gegen den Großstadtlärm, dem das Nervensystem der Kinder schutzlos ausgeliefert sei. Ohne »wenn und aber« setzte er sich für das Frauenstimmrecht ein, schlug vor, die Frauen von »Kindern und Küche« zu entlasten, rief also zur Gründung von Wohngemeinschaften auf. Als Vegetarier brachte er es fertig, sich in den besten Restaurants Berlins Wasser, Schwarzbrot, Apfelbrei und Pfannkuchen zu bestellen. Wenn andere Gäste ein Nierengericht verspeisen wollten, ging er an den Tisch dieser »Kannibalen« und fragte: »Wie kommen Sie dazu, fleischerne Nachttöpfe zu essen?«

Im Ersten Weltkrieg gaben ihm die misstrauischen Militärbehörden den Posten eines Wärters auf dem Leuchtturm »Roter Sand«. Später wurde er zwar Kompaniechef einer Torpedodivision in Wilhelmshaven. Als man aber über einen Matrosen, der sich gegen den Krieg aufgelehnt hatte, Gericht hielt, lehnte Paasche das ihm übertragene Richteramt ab und wurde daraufhin (1916) entlassen. Von nun an verbreitete er radikalpazifistische Aufrufe und verbotene Schriften über die deutsche Kriegsschuld. Am 14. Juli 1917, Jahrestag der Erstürmung der Bastille, ließ Paasche für auf seinem Gut arbeitende französische Kriegsgefangene die Trikolore hissen und die Marseillaise erklingen – mitten im Kampf gegen den »Erbfeind«.

Im Oktober 1917 wurde Hans Paasche wegen Hoch- und Landesverrats verhaftet und angeklagt. Gegen seinen Willen beantragte sein Anwalt, der rechte Sozialdemokrat Wolfgang Heine, eine Untersuchung seines Geisteszustandes, um ihn vor einer sicheren Hinrichtung zu retten. Paasche landete in einem Berliner Nervensanatorium, aus dem ihn am 9. November 1918 aufständische Matrosen befreiten.

Paasches wiederholte Forderungen an das deutsche Volk, sich von jedweder Politik der Gewalt abzukehren, wurden nicht ernst genommen. Hinzu kam, dass er als einstiger Kolonialoffizier den Verlust der deutschen Kolonien ausdrücklich begrüßte und seinen Landsleuten riet: »Wer aber nicht auswandert aus seinem alten Menschen, der wird in keiner Steppe frei!« Nach dem plötzlichen Tod seiner Frau wollte er nur noch »seinen Acker bestellen und seine vier Kinder erziehen«. Doch seine Feinde ließen ihm keine Ruhe. Eine Denunziation, er halte auf seinem Gut ein Waffenlager für einen kommunistischen Aufstand versteckt, reichte als Vorwand für eine Hausdurchsuchung. Fünfzig bis sechzig Mann umstellten Paasches Gut. Man ließ ihm keine Chance und erschoss ihn »auf der Flucht«. Waffen wurden nicht gefunden.

Paasche wusste, dass er auf den Listen der Feme stand. 1916, noch in Uniform, machte er aus seiner Sympathie für Karl Liebknechts antimilitaristische Haltung keinen Hehl. Als er von dessen und Rosa Luxemburgs Ermordung erfuhr, trat er spontan in die KPD ein, nicht weil er sich mit ihrem Programm identifizierte, sondern um zu zeigen, dass er sich an die Seite der Opfer stellte. Als der Leichenzug für Karl und Rosa sich durch die Straßen Berlins bewegte, saß er im ersten Wagen hinter den Särgen, vor sich einen blutroten Kranz. Im Jahr darauf wurde er selbst ein Opfer mordwütiger Soldateska und rechtsradikaler Lynchjustiz. Ein Stein in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde erinnert an ihn.

Der Mord an Hans Paasche blieb ungesühnt. Doch seine Worte und Werke wirken nach. In einer seiner letzten Abhandlungen schrieb er: »Krieg ist etwas, das nicht mehr sein darf.«

Unser Autor hat in seinem Bremer Verlag jetzt »Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukura ins innerste Deutschland« neu herausgegeben (168 S., 12,80 €); im Donat Verlag erschienen auch von Paasche: »Ändert Euren Sinn!« (266 S., 15,40 €) und von Werner Lange »Hans Paasches Forschungsreise ins innerste Deutschland« (264 S., 19,80 €).

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