Licht und Raum

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Kunst soll ein Filter, ein Scharfsteller sein. Das jedenfalls wurde zum Anspruch der Künstler, denen es nicht mehr ausreichte oder die es ermüdete, weiterhin nur dem Schönen auf der Spur zu sein. Die Beuys-Schülerin Asta Gröting ist so eine Scharfstellerin.

Der Neue Berliner Kunstverein (NBK) hat der jetzt an der Braunschweiger Kunsthochschule lehrenden Künstlerin eine Einzelausstellung gewidmet. Die Fensterfront des einen der beiden großen Räume im Erdgeschoss der Chausseestraße ist schwarz verkleidet. In diese schwarze Blende hat Gröting Worte wie »Kontoauszug«, »Theater«, »Bier« und »Familienausflug« eingeschnitten. Es sind Worte, die auf Lebensumstände verweisen. Es handelt sich zugleich um Distinktionsmerkmale, wie sie der französische Soziologe Pierre Bordieu in seiner umfangreichen Kapitalismusstudie »Die feinen Unterschiede« herausgearbeitet hat. Gröting assoziiert aber nicht nur Bordieu herbei. Sie verbindet zugleich Kunstraum und profanen Straßenraum.

Das Licht der Chausseestraße dringt durch die eingeritzten Worte in die Galerie. Gleichzeitig entsteht ein doppeltes Schauen, wenn man durch den Schriftzug »Auto« auf vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer, durch das Wort »Camping« auf die gegenüberliegende Hausfassade, durch »Weiss« auf einen Passanten dunkler Hautfarbe und durch das nebenstehende »Wein« auf leere Bierflaschen auf der Straße blickt. Grötings Licht- und Schriftwand umrahmt das Alltagsgeschehen, macht es geheimnisvoll und konzentriert auf winzige, plötzlich bedeutungsvoll erscheinende Details. An der gegenüberliegenden Wand dieses dunklen Raums sind Grötings – mittlerweile schon Kultcharakter tragende – Dialoge mit einer Handpuppe projiziert.

Komplementär ist der zweite Raum ganz in Licht getaucht. In regelmäßigem Rhythmus findet eine elektrische Entladung statt. Eine Linie aus goldenen Kartoffeln zieht sich durch den Raum. Ein aus Kugeln gebildeter Käfig schwebt. Kolorierte Glasblöcke geben den Anschein eines Kaminfeuers. Gröting, gelernte Bildhauerin, modelliert mit diesen Installationen die Luft – also das Medium zwischen den Skulpturen. Das ist eine durchaus verblüffende Wendung. Hat man sich jedoch erst einmal an die ätherische Atmosphäre dieses Teils der Ausstellung gewöhnt, kommt der nächste irritierende Moment: Etwas bewegt sich. Eine mit schwarzem Tuch verhängte Statue hat plötzlich ihren Standort verändert. In dem schmalen Schlitz, den der den ganzen Körper verhüllende Schleier frei lässt, erkennt man flatternde Augenlider. Die Statue entpuppt sich als die Performance »Abbaya«, die täglich von 16 bis 18 Uhr in der Ausstellung aufgeführt wird.

Die verschleierte Frau zieht ihre Kreise an den lichten Objekten vorbei. Am Käfig scheint sie entlang zu schweben. Ihre massige, für Licht und Auge undurchdringliche Schwärze bildet einen starken Kontrast zur Umgebung. Zugleich schleust sie den kulturpolitischen Diskurs um Verschleierung in den White Cube des NBK ein.

Ob es jedes Mal die Künstlerin selbst ist, die derart getarnt ihre eigene Ausstellung und deren Besucher beobachtet, ist unklar. Zumindest existieren Fotos, auf denen sie sich die Abbaya übergeworfen hat. Gröting betreibt ein faszinierendes Spiel mit den Widersprüchen von Licht und Aufklärung einerseits, Verstecken, Verbergen und Schützen andererseits. Sie regt außerdem zu einem fundamentalen Nachdenken über Transparenz an.

Asta Gröting im NBK, Chausseestraße 128/29, bis zum 30. Juni, Dienstag bis Sonntag 12 - 18, Donnerstag bis 20 Uhr

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