Sprache als Gefängnis
Im Hebbel am Ufer konfrontiert »Polski Express III« mit Politik und Kunst jenseits der Oder
Viel nimmt man nicht wahr vom Leben und Denken im östlichen Nachbarland Polen. Blockadepolitik des Präsidenten gegen Europa, sein Flugzeugabsturz sind im Gedächtnis, der Eindruck einer polarisierten Nation zwischen Fortschritt und Reaktion, unterm Diktat der Kirche. Wie intensiv jenseits der Oder über gesellschaftliche Konzepte diskutiert wird, darüber informiert in seiner dritten Ausgabe »Polski Express« im Hebbel am Ufer. Bis zum 5. Juni stellen sich Politik und Kunst aus Polen vor.
Begonnen hat das Festival mit der Performance »We Will Be Strong In Our Weakness« der Israelin Yael Bartana. In Israel lebende Juden fordert sie darin auf, nach Polen zurückzukehren, um den Nachwirkungen des Holocaust entgegenzuwirken, Positionen des Nationalismus zu unterlaufen. Unterstützt wird sie von Slawomir Sierakowski, dem Gründer, Chefredakteur und Kopf von »Krytyka Polityczna«, einer 2002 etablierten Zeitschrift für eine engagierte polnische Intelligenz. Als Befürworter des Verfassungsentwurfs für die EU stand er gegen das offizielle Polen. »Durch die Kreise der kapitalistischen Hölle Polens« heißt der von jener Zeitschrift verantwortete Vortragszyklus zu Ökonomie, Politik, Kunst und Utopien in einer provokanten Bestandsaufnahme.
Gespräche mit Simultanübersetzung bieten Kulturanthropologin Joanna Tokarska-Bakir über Warschau und seine hintergründig gemeinten Untergründe oder der Kulturkritiker Norman M. Klein aus Los Angeles dazu, wie sich Amerikas Krise in Unterhaltungsindustrie, Finanzkapital, Stadtplanung, digitaler Kultur spiegelt. Die Videoinstallation »Serie Deutschland« von Hofmann & Lindholm lässt Bürger historische Bilder nachstellen, etwa Willy Brandts Kniefall 1970 vorm Denkmal des Warschauer Ghetto-Aufstandes, und untersucht, wie Fotos Geschichte erklären und auch missbrauchbar sind. Drei indische Künstler zeigen ihre Videoinstallation »The Capital of Accumulation«: In einer an Rosa Luxemburgs »Die Akkumulation des Kapitals« orientierten Erzählweise beschreiben sie eine Stadt des 20. Jahrhunderts – Berlin, Mumbai oder Warschau – in ihrem Neubeginn und Scheitern.
»Polski Express« präsentiert vor allem aber Theater aus Polen. So verknüpft Agnieszka Olsten vom Teatr Polski aus Wroclaw in »Samsara Disco« Tschechows »Iwanow« mit Wiktor Pelewins »Das Leben der Insekten« zu einem Kreislauf aus Werden und Vergehen, mit Gier, Hass, Verblendung als fatalen Triebkräften. Folgt zwangsläufig auf den Kommunismus der Konsumismus, lautet die Fragestellung.
Zuhause hochgelobt und preisüberhäuft ist die Schauspielerin und Regisseurin Barbara Wysocka. Mit dem Teatr Wspólczesny ebenfalls aus Wroclaw lotet sie in »Kaspar« die Sprache als Gefängnis aus, aus der es wie aus dem kapitalistischen System kein Entrinnen zu geben scheint. Peter Handkes Vorlage um die Figur Kaspar Hauser versucht einen neuen Menschen zu denken. Die Sprache als Werkzeug des Terrors, so beschreibt Wysocka ihre »musikalische Etüde für Schauspieler und Bühnenraum«. Harakiri Farmers, ein junges Kollektiv aus Kraków, arbeitet in »We Are Oh SO Lucky« mit Bewegung, Bild, Wort und umspielt die Figur des Lucky aus Becketts »Warten auf Godot«. Jan Klata vom Teatr Polski analysiert in »Das gelobte Land« nach Wladyslaw Reymonts Romanklassiker radikal kapitalistische Mechanismen unserer Tage, Krzysztof Warlikowskis »(A)pollonia« vom Novy Teatr Warschau erinnert an eine Frau, die 25 jüdische Kinder vor der Gestapo versteckt und sich selbst ausgeliefert hat.
Bis 5.6., Hebbel am Ufer, Kreuzberg, Kartentelefon 259 004 27, Infos unter www.hebbel-am-ufer.de
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