Jungs brauchen männliche Vorbilder
Marcus Kopsch ist als Erzieher in einer Kindertagesstätte eher die Ausnahme
Stolz zeigt Lisa ihr rotes Modellauto vor. »Hab' ich selbst zusammengebaut«, sagt die Sechsjährige. Mit ihrer Kita-Gruppe war das Mädchen kürzlich in einem Berliner Autohaus. Einen gelernten Kfz-Mechaniker hat die Gruppe gleich selbst mitgebracht: ihren Erzieher. Marcus Kopsch heißt der 31-Jährige, er arbeitet seit einem halben Jahr in der Kita Rathenower Straße in Moabit – als einziger Mann unter 30 Frauen.
Wenn es nach der Bundesregierung geht, gibt es in Deutschlands Kindergärten bald mehr männliche Quereinsteiger, darunter auch Handwerker. Die Politik braucht für den beschlossenen Kita-Ausbau dringend Personal. Pädagogisch hat das Konzept durchaus Fürsprecher. »Tatsache ist, dass viele Jungen ohne Männer aufwachsen. Ihnen fehlen damit realistische Vorbilder«, sagte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) kürzlich in einen Interview und kündigte an, arbeitslose Männer zu Erziehern umschulen zu lassen. Jungen seien heute die Benachteiligten, das Problem wolle sie anpacken.
Das will auch Jürgen Zöllner (SPD), der Bildungssenator von Berlin, wo die Frauenquote des Kita-Personals bei 96 Prozent liegt. Zöllner rüstet sich auch für einen bundesweiten Konkurrenzkampf um Erzieher. Denn der Bund treibt den Ausbau der Tagesbetreuung voran. 2013 soll es für jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Platz geben. Selbst die gut ausgestattete Hauptstadt braucht mehr als 2500 neue Plätze, um dann den Rechtsanspruch für Ein- und Zweijährige erfüllen zu können.
Marcus Kopsch – schlank, hochgewachsen – hockt auf einem winzigen Stuhl im Gruppenraum der Kita, um ihn herum ein gutes Dutzend Kinder. Sie malen, pflanzen Kastanien in Blumentöpfe und schneiden Herzen aus Papier. »Die Quereinsteiger-Idee ist eine gute Sache«, sagt der 31-Jährige. »Aber man muss das auch wollen. Bei dem Beruf muss auch das Herz dabei sein.« Eigentlich hatte der Sohn eines Schlossers einen anderen Weg eingeschlagen. »Es war klar, dass ich einen technischen Beruf ergreife.« Nach ein paar Jahren als Automechaniker änderten sich beim Zivildienst in einem Krankenhaus seine Ziele. »Ich denke, ich kann sehr gut mit Menschen umgehen. Aber wer Autos repariert, hat kaum Kontakt mit dem Kunden und bekommt insgesamt wenig zurück.« Kopsch entschied sich für eine dreijährige Erzieher-Ausbildung.
Nun arbeitet er wieder in einer Art Reparaturbetrieb. Seine Kita liegt in einem Stadtteil, der von außen oft »sozialer Brennpunkt« genannt wird. Nur zwei Kinder in der Gruppe haben deutsche Namen, die anderen kommen aus türkisch- und arabischstämmigen Familien. »Wir haben hier eine ganz andere Verantwortung als in einer Werkshalle«, sagt Kita-Leiter Ralf Schnell, selbst gelernter Mechatroniker. Nur wenige Kinder würden zu Hause gefördert, Väter wüssten nichts mit ihren Kindern anzufangen, Mütter trauten sich kaum aus dem eigenen Viertel. »Es gibt in vielen Familien die Neigung, Probleme mit Gewalt zu lösen«, sagt Schnell. »Hier bei uns lernen sie Männer kennen, die das Kind auf den Schoß nehmen und darüber reden.«
Tatsächlich unterscheidet sich die Arbeit männlicher Erzieher nicht allzu sehr von der ihrer Kolleginnen, wie der Berliner Erziehungswissenschaftler Wolfgang Tietze schreibt. »Sie sind gleichermaßen sensitiv und involviert im Umgang mit den Kindern wie ihre weiblichen Kolleginnen und drücken denselben Grad an Akzeptanz gegenüber den Kindern aus.« Bei der Qualität gebe es keine Abstriche, auch die Eltern seien zufrieden, heißt es in Tietzes Untersuchung zu Brandenburger Kitas. Dort waren Arbeitslose zu Erziehern umgeschult worden – für Bundesministerin Schröder ein Modell.
Die Kita-Kinder an der Rathenower Straße in Moabit scheinen jedenfalls zufrieden mit ihrem Erzieher Marcus zu sein. »Der macht immer was Lustiges mit uns«, sagt der fünfjährige Ramazan.
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