Held mit Schattenseiten
Vor 100 Jahren starb der Bakteriologe Robert Koch
Kein Zweifel, er war sehr gefragt. Und so schrieb er: »Der Andrang der Eingeborenen, welche fest davon überzeugt sind, dass wir die Krankheit heilen können, ist so groß, dass wir denselben kaum bewältigen können. An manchen Tagen müssen 800 und mehr Kranke abgefertigt werden.« Es war Robert Koch, der weltberühmte Arzt, der das in Deutsch-Ostafrika zur Schlafkrankheit notierte.
»Retter der Menschheit«, »Vater der Bakteriologie«, »Pionier der Mikrobiologie« – so wird er bis heute genannt. Er entdeckte die Erreger der Tuberkulose (1882) und der Cholera (1884). 1905 bekam er den Nobelpreis. Und doch liegen Schatten auf seinem Leben, das 1910 in Baden-Baden zu Ende ging. Am 27. Mai starb er dort in einem Sanatorium an einem Herzleiden.
Ein Jahrzehnt nachdem Koch die Tbc-Erreger aufgespürt hatte, »endeten seine bakteriologischen Menschenversuche mit Tuberkelbakterien im Fiasko«, so die Kulturhistorikerin Anna Bergmann im Buch »Der entseelte Patient«. Damit meint sie seine Experimente mit dem von ihm entwickelten Tuberkulin. Dafür mussten nach Meerschweinchen-Tests auch Patienten der Charité herhalten, durchweg aus »Unterschichten«, wie Bergmann anmerkt. Tbc-Patienten drängten nach Berlin und boten Höchstpreise für das unausgereifte Präparat. Von 1890 an hatte Koch (auch auf Druck der Regierung) dieses Mittel propagiert. Bald zeigte sich, dass es nicht heilte, manchmal sogar den Tod brachte. Schwindel und Schwindsucht lagen nahe beieinander.
Die Sache wurde noch übler, weil Koch gegenüber der Regierung auf die Produktion des Präparates in einem Institut mit ihm als Chef drängte. Er schätzte den Jahresgewinn auf 4,5 Millionen Mark – eine Riesensumme. Reichskanzler Leo von Caprivi war entsetzt, dass Koch sich so dreist bereichern wolle.
Unangenehm ist auch die Sprache dieser Zeit. Koch bediente sich ihrer wie viele andere Mediziner. Sie war stark militaristisch und rassistisch geprägt. Da ging es oft um Feldzüge gegen die Erreger, um das Vernichten und Ausrotten der gefürchteten Feinde – mit der Folge, dass sich Hitler einmal als »Robert Koch der Politik« bezeichnete. Selbst im Medizinerjargon unserer Zeit sind so manche aggressive Vokabeln geblieben, ob bei Infektionskrankheiten oder Krebs.
1889 erlaubte sich der seit 22 Jahren verheiratete Koch auch dies: Er verliebte sich. Sie war 17 Jahre alt, er 46. Er ließ sich scheiden und heiratete das Mädchen. Gegen die schlechte Meinung in Berlin hatte er eine Therapie: Ab nach Ägypten, offiziell natürlich der Forschung wegen.
Wegen der Versuche, die Koch in Afrika an tausenden Schlafkranken vornahm, gibt es heute heftige Vorwürfe. Doch da er das Leiden für absolut tödlich hielt, war aus seiner Sicht jedes Mittel recht, selbst ein giftiges. Aufklärung, heute zwingend vorausgesetzt, gab es kaum. Die Rezepte entstanden aus riskanter Lust am Experiment. Koch setzte hohe Dosen von Atoxyl ein, das Arsen enthielt und blind machen konnte. In der Tropenmedizin hatten die Experten der Kolonialmächte Vorrang; andere Schulen waren ohne Chance.
Darüber wurde später viel Kritisches publiziert. So schrieb der Medizinhistoriker Wolfgang U. Eckart: »Diese Versuche fanden – das war Konsens in einer akademischen Schicht des Kaiserreichs – an einer Bevölkerung statt, die als rassisch minderwertig erachtet wurde.« Die Historikerin Barbara Elkeles stellt als ein Kennzeichen des oft gefeierten Mannes fest: »Koch wurde ein Opfer seines sonst so produktiven Ehrgeizes.«
Zum Weiterlesen: Christoph Gradmann: Krankheit im Labor. Robert Koch und die medizinische Bakteriologie. 2. Aufl. Wallstein Verlag 2010. 376 S. brosch., 38 €.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!