Das Wunder von Dünkirchen

Operation »Dynamo« vor 70 Jahren – größte Evakuierungsaktion der Kriegsgeschichte

  • Horst Diere
  • Lesedauer: 3 Min.
Einschiffung von Briten und Franzosen im Mai 1940
Einschiffung von Briten und Franzosen im Mai 1940

Nur zehn Tage nach dem Beginn des deutschen Angriffs auf Frankreich, Belgien und Holland hatten am 20. Mai 1940 Panzerverbände der Wehrmacht an der Mündung der Somme die französische Kanalküste erreicht. Die nördlich dieser Durchbruchslinie stehende britische Expeditionsarmee sowie sechs französische Korps wurden damit von der Masse des französischen Heeres getrennt und bis zum 24. Mai in einem immer enger werdenden Kessel bei der nordfranzösischen Hafenstadt Dünkirchen unweit der belgischen Grenze zusammengedrängt. Die einzige Chance, aus dieser Falle auszubrechen, die lediglich zum Meer hin offengeblieben war, bestand in einem Rückzug zur See über Dünkirchen. Doch ein Vorstoß der dicht vor der Stadt stehenden deutschen Panzerkräfte konnte die britischen und französischen Truppen jederzeit von der See abschneiden und ihnen damit den letzten Ausweg versperren.

Auf Geheiß Winston Churchills, der am 10. Mai 1940, am Tag, an dem die deutsche Wehrmacht in Frankreich einfiel, den Beschwichtigungspolitiker Chamberlain als Premier abgelöst und unbeugsamen Widerstand gegen den faschistischen Aggressor angekündigt hatte, ließ die britische Admiralität alle erreichbaren Schiffe für die Evakuierung der Eingeschlossenen zusammenziehen. Private Schiffs- und Bootsbesitzer unterstützten freiwillig mit ihren Fahrzeugen die Marine, zumal dieser fast zeitgleich der Abtransport der britischen Streitkräfte aus Norwegen oblag. Mit der unter dem Decknamen »Dynamo« für Dünkirchen vorbereiteten Operation hoffte die Admiralität, in etwa zwei Tagen noch rund 45 000 Mann retten zu können.

In dieser für die Alliierten äußerst angespannten Situation erhielten die zum Endstoß auf Dünkirchen bereitstehenden deutschen Panzer am 24. Mai den Befehl, ihren Vormarsch zu unterbrechen. Über die Gründe dieses zwischen Hitler und den Generalen Jodl und v. Rundstedt abgesprochenen Haltebefehls für die Panzer hat es nach dem Zweiten Weltkrieg mancherlei Spekulationen gegeben. Verbreitet war z. B. die Ansicht, Hitler hätte die Panzer vor Dünkirchen zurückgehalten, um Großbritannien nach dem deutschen Sieg eine Verständigung mit Deutschland zu erleichtern. In Wirklichkeit aber waren für diese Entscheidung, die am 27. Mai wieder rückgängig gemacht wurde, ausschließlich militärische Erwägungen maßgebend. Es sollten die Panzerkräfte für die beabsichtigte, auf das Innere Frankreichs gerichtete und unmittelbar bevorstehende Offensive geschont und nicht in einer Einschließungsschlacht verschlissen werden, die fälschlicherweise bereits für gewonnen gehalten wurde. Deswegen wurde es Infanterie und Luftwaffe übertragen, den Kessel rasch zu liquidieren.

Inzwischen aber konnten die auf dem Land von allen Seiten von den Deutschen umfassten Briten und Franzosen ihre Abwehrfronten stabilisieren. Das von dem britischen Admiral Ramsay geleitete Unternehmen »Dynamo« begann und entwickelte sich trotz wieder anlaufender deutscher Angriffe zu einer der größten gelungenen Evakuierungsaktionen der Kriegsgeschichte. Zerstörer, Minensucher, Trawler, Schiffe und Boote aller Typen liefen zwischen Dünkirchen und den englischen Häfen hin und her. Obwohl Görings Luftwaffe schwere Angriffe gegen die Hafenanlagen und die Evakuierungsflotte flog, vermochte sie »Dynamo« zwar zu stören, aber nicht zu verhindern. Erfolgreicher Widerstand der Eingeschlossenen sowie der Einsatz aller Kräfte der Royal Air Force ermöglichten es 861 Schiffen, bis zum 3. Juni rund 340 000 Mann, darunter 123 000 Franzosen, sicher nach England zu bringen. Nahezu 85 Prozent der britischen Expeditionsarmee waren gerettet worden – wenn auch unter Verlust ihres gesamten Kriegsmaterials, das den deutschen Truppen in die Hände fiel, als diese am 4. Juni 1940 nach unerwartet schweren Kämpfen Dünkirchen einnahmen, sowie von insgesamt 234 versenkten Schiffen.

»Dynamo« war eine gewaltige Leistung der Briten und das eigentliche »Wunder von Dünkirchen« – ein Wort, das zuweilen heute noch apostrophiert wird.

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