Schritt aus dem Schatten
Silly stellten ihr neues Album »Alles Rot« im Berliner Huxleys vor
Mehr als 20 Jahre ist es her, dass ich Silly zuletzt live spielen sah, irgendwann auf der Bataillon d’Amour-Tour. 1996 gab es die letzte Silly-CD mit Tamara Danz (»Asyl im Paradies«). Von der Besetzung, die 1983 mit »Mont Klamott« in den Pop-Olymp aufgestiegen war, steht nur noch der Keyboarder Ritchie Barton auf der Bühne. Nach so viel Geschichte kann eine Band nicht einfach auf die Bühne kommen, als wäre nichts gewesen.
So begann das Silly-Konzert am Sonntag im Huxleys mit weiß verhängter Bühne samt martialischem Intro – auf dem Höhepunkt fiel die Leinwand und die vorher nur in Umrissen erkennbaren Musiker taten den Schritt aus dem Schattenreich – und kamen in den folgenden zwei Stunden mit nur fünf »alten« Silly-Stücken aus. Der Rest drehte sich um »Alles Rot«, das im März nach drei Jahren Arbeit erschienene neue Album. Neben den vier Sillys Anna Loos (Gesang), Uwe Hassbecker (Gitarre), Richie Barton (Keyboard) und Jäcki Reznicek (Bass) standen drei Gastmusiker auf der Bühne. Wie auf dem Album spielt sich das musikalisch Wesentliche zwischen Loos, Hassbecker und Barton ab. Im aktuellen Soundkonzept ist Rezniceks Bass weggemischt. Auch das Fehlen des an Krebs gestorbenen Silly-Drummers Herbert Jungk, der immer einen Millimeter neben den Beat schlug und so eine zusätzliche Spannung erzeugte, ist schon spürbar.
»Alles Rot« klingt nach einer Hassbecker/Barton-Platte, für die die beiden endlich, endlich die passende neue Sängerin gefunden haben. Loos ist ein echter Glücksgriff für die Band, ihre Sangeskünste sind variabler als die der Danz. Eigentlich schon abgenudelte Silly-Songs wie »So 'ne kleine Frau« und »Bataillon d'Amour« bürstete sie ziemlich frisch auf. Die Band leugnet den schier übermächtigen Silly-Schatten gar nicht erst, sondern versucht, produktiv anzuknüpfen. So gibt’s eine ganze Reihe von Selbstbezügen.
Werner Karma, der die Texte zum neuen Album geschrieben hat, und die Band fügten ihrem Oeuvre einen weiteren der beliebten »Fisch-Wasser-Songs« hinzu, diesmal: »Die Furcht der Fische«, das am stärksten gesellschaftskritische Stück des neuen Albums. Politisch noch direkter kommt »Mein Kapitän« daher. Allerdings lieferte der Klassiker »SOS« von der Scheibe »Februar« (1989) den gültigsten Kommentar zur Weltlage: »über uns lacht 'ne goldene fahne/ unter uns ein schwarzes riff ...«
Die Texte auf »Alles Rot« wirken insgesamt entspannter. Dabei spielt offenbar auch die – verglichen mit Danz – ganz andere Lebenserfahrung von Loos eine Rolle. Bei Danz ging es in jedem Song nahezu um »alles« und ab ins Exaltiert-Extreme. »Alles Rot« ist sicher die beste »Du«-Platte von Silly geworden, das zeigt auch der kommerzielle Erfolg.
Alles in allem ist es ein Übergangsalbum – ohne so viele Gänsehautmomente wie auf früheren Produktionen. Einer der besten dieser Momente ist der Beginn von »Leg mich fest«: »Gesichter blitzen auf wie Lichter/ Meistens blenden sie mich nur/ Die Sehnsucht rast von überall/ auf mich zu auf meiner Spur«. Das muss die Band ähnlich sehen, denn das Stück brachten sie erst in der Zugabe. Am Schluss kam dann, das konnte nicht anders sein, der Danz-Gedenksong »Sonnenblumen«.
Ein denkwürdiges Konzert, ein denkwürdiges Album.
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