Lübeck kämpft um seine Universität
Carstensens Sparpaket löst Proteststurm in der Hansestadt aus
Ob und welche Institute der Lübecker Universität aus Protest heute tatsächlich ins mecklenburgische »Exil« nach Schönberg fahren, lies sich gestern nicht mehr abschließend klären. Es hatte Gerüchte gegeben, die sich in studentischen Protestforen bis zum Nachmittag nicht verifizieren ließen. Klar ist aber, dass es ab 17.30 Uhr zur Aktion »Sternmarsch rückwärts« in der Lübecker Innenstadt kommt: Die Studierenden wollen sich um diese Zeit auf dem Rathausmarkt treffen, große Mengen von Flugblättern untereinander verteilen und auf dem Heimweg in die Stadtteile möglichst alle Briefkästen damit versorgen.
Gegen die Hauptstadt
Am Donnerstag letzter Woche wurde bekannt, dass die schwarz-gelbe Koalition in Kiel den Rotstift an der Universität Lübeck ansetzen will. Die Medizinerausbildung soll eingestellt und zur Uni Kiel verlagert werden – aus Kostengründen, wie auf Regierungsseite auch niemand ernsthaft bestreitet. Seit dem Eintreffen dieser Nachricht scheint die ganze Stadt auf Krawall gebürstet: Vom AstA der Uni über die »Lübecker Nachrichten« (LN), die sich als kollektiver Organisator üben und eine Protest-Sonderseite im Internet betreiben, bis hin zum Oberbürgermeister Bernd Saxe (SPD), der prompt per LN mit dem Gegenvorschlag herauskam: Kiel dichtmachen, Lübeck sei sowieso viel moderner.
»Lübecks Uni bleibt« heißt die Artikelsammlung in der Lokalzeitung. Der Slogan trifft die Grundstimmung: Mit dem Verlust der Medizinerausbildung sei über kurz oder lang die ganze Lübecker Universität in Gefahr. Tatsächlich ist die Medizin deren absolutes Kernstück. Trotz eines hübschen »Sigillum Universitatis Lubecensis« im Mittelalter-Stil ist die Uni nämlich erst 2002 gegründet worden – aus der Medizinischen Universität Lübeck, die ihrerseits 1964 als zweite medizinische Fakultät der Kieler Uni entstand.
Außer der medizinischen Fakultät verfügt die Lübecker Uni nur noch über eine mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät, die sich zudem auf medizin-nahe Bereiche wie Computereinsatz in den »Life Sciences« orientiert hat. Gerade sollte ein Fraunhofer-Institut zu diesem Forschungscluster hinzukommen. Auch diese wichtige Ansiedlung sei nun in Gefahr – unkt man an der Trave, auch wenn der zuständige Landesminister Jost de Jager (CDU) dies weit von sich weist.
Immerhin: FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki hat, nachdem er vor dem Wochenende in der Lübecker Innenstadt mehreren hundert protestierenden Studenten über den Weg gelaufen war, ein zweites Nachdenken in Aussicht gestellt, sollte sich tatsächlich ein Ausbleiben des Fraunhofer-Instituts abzeichnen.
Schwarz-gelbe Nagelprobe
Ansonsten aber scheinen Regierung und Fraktionen auf Linie. Darauf ist Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) auch angewiesen, denn nach der ersten Landtagswahlkorrektur regiert Schwarz-Gelb in Kiel nur noch mit einer einzigen Stimme Mehrheit. Ein Scheitern ihres »Sparpakets« würde die Regierung kaum überleben.
In Lübeck deutet wenig darauf hin, dass man sich abfindet. Die Studierenden planen Aktionen für mindestens zwei Wochen. Inzwischen haben sich auch Kieler Medizinstudierende mit den Lübeckern solidarisiert, am 15. Juni soll gemeinsam in der Landeshauptstadt demonstriert werden.
Diesen Protest wird Carstensen nicht so leicht los werden wie die Protestversammlung, welche die Lübecker Bürgerschaft im Kieler Landtag abhalten wollte. Letzteres wurde nämlich kurzerhand vom Landtagspräsidium untersagt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.