Am schlimmsten ist die Perspektivlosigkeit

80 Prozent der Bewohner des Gaza-Streifens sind auf Hilfslieferungen angewiesen

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Dr. Usama Antar ist Politologe in Gaza-Stadt. Im Telefongespräch mit dem Journalisten Martin Lejeune, bestreitet er die israelische Behauptung nicht, im Gaza-Streifen gebe es genügend Lebensmittel. »Die Bevölkerung leidet nicht an Hunger«, sagt Dr. Antar, »es gibt Mehl und Reis vom UN-Flüchtlingshilfswerk. Es ist aber erniedrigend, wenn man von internationalen Organisationen ernährt wird.« Und da Israel keinen Zement passieren lasse, könnten die Bewohner des schmalen, aber dicht besiedelten Küstenstreifens am Mittelmeer ihre im Krieg zerstörten Häuser nicht wieder aufbauen. »Aber das Schlimmste ist die Perspektivlosigkeit. Israel schränkt die Bewegungsfreiheit der Menschen gänzlich ein. Der Gaza-Streifen ist total isoliert vom Rest der Welt«, klagt der Gesprächspartner.

Schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen, die Hälfte davon unter 18 Jahren, leben in dem 365 Quadratkilometer großen Gebiet. Seit die Islamische Widerstandsbewegung Hamas bei Wahlen 2006 die Mehrheit im palästinensischen Legislativrat errang und nach gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Fatah die alleinige Macht im Gaza-Streifen übernahm, wurde das Gebiet durch Israel fast vollständig abgeriegelt. Und nicht nur das. Während des israelischen Überfalls, der Operation »Gegossenes Blei« vom 27. Dezember 2008 bis zum 18. Januar 2009, kamen 1400 Palästinenser im Gaza-Streifen ums Leben. Israel begründete die Operation mit zahlreichen Raketenangriffen auf den Süden des Landes, die vom palästinensischen Territorium ausgingen. 6200 Häuser wurden während des Krieges zerstört, aber auch etliche Geschäftsgebäude und öffentliche Einrichtungen.

Anderthalb Jahre später sind nach einem Bericht der UNO vom Mai dieses Jahres lediglich 25 Prozent der Schäden behoben. Zwar konnten zehn der zwölf beschädigten Krankenhäuser wiederhergestellt werden, ebenso wie gut drei Viertel der Kanalisation. Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNWRA) kritisiert jedoch, dass wegen fehlender Schulräume die Kinder nur mangelhaft unterrichtet werden können. Die Arbeitslosenquote lag 2009 nach Angaben des deutsch-palästinensischen Wirtschaftsrats in manchen Gebieten bei über 50 Prozent.

80 Prozent der Bewohner des Gaza-Streifens sind auf Hilfsgüter angewiesen, deren Lieferung Israels Regierung jedoch nur in begrenztem Umfang erlaubt. So bleibt die Versorgung der Bewohner schwierig. Wichtigster Handelsweg sind illegale Tunnel an der Grenze nach Ägypten, durch die geschätzte 80 Prozent der Einfuhren in den Küstenstreifen gelangen, die jedoch von der israelischen Luftwaffe regelmäßig bombardiert werden.

Gerade deshalb sollten durch den Hilfskonvoi von »Free Gaza« tausende Tonnen Zement, aber beispielsweise auch 500 Rollstühle, Medikamente und andere dringend benötigte Güter nach Gaza transportiert werden. Das israelische Angebot, die Hilfsgüter im Hafen Aschdod zu löschen und – nach gründlicher Kontrolle – auf dem Landweg nach Gaza transportieren zu lassen, wurde angesichts der bisherigen restriktiven Praxis von den Aktivisten als unaufrichtig abgelehnt. Dass die Teilnehmer darüber hinaus auch ein politisches Zeichen des Protests gegen die Blockade setzen wollten, steht außer Zweifel

Auch der israelische Friedensblock Gush Shalom erinnerte in einer Presseerklärung anlässlich des Überfalls auf den Hilfskonvoi daran, dass der Staat Israel in den Oslo-Abkommen vor 17 Jahren versprochen hatte, die Errichtung eines Tiefseehafens in Gaza zu ermöglichen, durch den die Palästinenser frei im- und exportieren und ihre Wirtschaft entwickeln könnten. »Es wird Zeit, diese Verpflichtung zu realisieren und den Hafen von Gaza zu öffnen. Erst wenn dieser Hafen für freie und ungestörte Bewegung offen sein wird, genau wie die (israelischen) Häfen von Haifa und Aschdod, wird sich Israel vom Gaza-Streifen getrennt haben«, hieß es in der Erklärung, die der ehemalige Knesset-Abgeordnete Uri Avnery namens der Bewegung verbreitete. »Bis dahin wird die Welt weiterhin – zu Recht – den Gaza-Streifen als unter israelischer Besatzung stehend ansehen und den Staat Israel für das Schicksal der dort lebenden Menschen verantwortlich machen.« ND/Agenturen

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