Versschmuggel und Verlegersorgen
Das 11. poesiefestival berlin thematisiert in der Akademie der Künste den Mittelmeerraum
Berlin hat nicht nur allherbstlich ein Literaturfestival von Rang, sondern jeweils im Frühjahr – und sogar um ein Jahr älter – auch ein bedeutendes Poesiefestival. Dass die Poesie eine ganz eigenständige Kunst sei, eher mit Musik, Tanz, Film verbunden als mit der Prosa, darauf weist Thomas Wohlfahrt, Direktor der Literaturwerkstatt Berlin und Leiter auch des poesiefestival berlin, ausdrücklich hin. In der 11. Ausgabe präsentiert es 170 Dichter und Künstler anderer Genres aus 37 Ländern. Schwerpunkt ist diesmal der Raum ums Mittelmeer – Schwierigkeit und Reiz gleichermaßen. Ist das Mittelmeer doch nicht nur gemeinsames Gewässer vieler Nationen, nicht nur Wiege europäischer Kultur, sondern ebenso »Burggraben« der Festung Europa gegen Emigranten aus Afrika und für sie der Schutzwall, den es zu überwinden gilt – sei es um den Preis des eigenen Lebens.
Erster Emigrant mag Aeneas gewesen sein, der aus dem brennenden Troja aufs italienische Festland floh; ein Ende jener Fluchten gen Europa ist nicht abzusehen, nicht das damit verbundene Leid. Europa selbst war eine entführte phönizische Prinzessin. Zu entführen waren die beim Festival vorgestellten Künstler zwar nicht; sie jedoch einem Programmablauf eingegliedert zu haben, darf sich das Leitungsteam hoch anrechnen.
Eröffnet wird das poesiefestival am 4. Juni mit dem Kolloquium »Mittelmeer und Europa – die andere Geschichte der Literatur«. Es fragt, wie sich der Flüchtling in der Dichtung jener Region spiegelt und wie er heute zivilrechtlich behandelt wird. An der verlesenen »Europäischen Verfassung in Versen« haben gut 50 Dichter mitgeschrieben. Der Abend gehört »Weltklang – Nacht der Poesie« in der Akademie der Künste, wo das Festival bereits im dritten Durchgang sein Domizil hat. Stars der Szene tragen in Originalsprache ihre Gedichte vor, so die Deutschen Elke Erb und Michael Krüger, der Russe Dmitry Golynko, Nina Kibuanda aus dem Kongo, Yang Lian aus China, Michael Ondaatje aus Kanada, Anat Pick aus Israel, Cole Swensen aus den USA, Raúl Zurita aus Chile. In einer eigens publizierten Anthologie kann man dem Weltklang jener Gedichte in deutscher Übersetzung folgen. Auch Berliner Autoren haben ihr Podium: In sechs Bezirken lesen sie an öffentlichen Orten.
Tägliche »Poesiegespräche« forschen bis zum 12. Juni dem Stand der Dichtung in den Anrainerstaaten und darüber hinaus nach. Ondaatje, bei uns mehr für seinen Roman »Der englische Patient« bekannt, obwohl Autor von 13 Gedichtbänden, ist dabei; Abbas Beydoun aus dem Libanon, Alaa Khaled aus Ägypten berichten über die Hafenstädte Beirut und Alexandria sowie – mit Kollegen aus Palästina und Syrien – über Poesie als Ort der Freiheit.
Anders fällt wohl der Blick maghrebinischer Dichter aus, deren Sprache und Kultur zwischen Französisch und Arabisch changiert. Arno Calleja und Florence Pazzottu vertreten die Poesie Marseilles, Schreiben in Israel beleuchten Shimon Adaf und Amir Or, über Dichtung am Bosporus sprechen Kücük Iskender und Gonca Özmen, Inselstaaten wie Malta und Zypern kommen zu poetischem Wort. Auf die Tradition von Hellas kann Griechenland verweisen; Lyrik im arabischen Raum ist weitaus älter als der Roman; in Andalus sind Flamenco und Poesie nicht zu trennen.
Sechs Ausstellungen mit Fotos oder Skulpturen, meist in den beteiligten Botschaften und Instituten, begleiten das Programm: zum Thema Meer, den Lebensbedingungen von Einwanderern in Italien, der experimentellen Poesie Lateinamerikas. Auch Musik, so etwa das Debüt der berberischen Band Ithran, bereichert das poesiefestival berlin.
4.-12.6., Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Kartentelefon 200 57 10 00, Festivalpass 60/40 Euro€, weitere Infos unter www.literaturwerkstatt.org
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