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Wir alle sind Griechen
Der Streit um das »Hilfspaket für Griechenland« symbolisiert die tiefe Krise, in der sich die EU befindet. Die Bundesregierung und die meisten Medien in Deutschland lamentieren unisono, dass deutsche Steuermilliarden für die Rettung Griechenlands fällig würden. Es entgeht ihnen, dass es sich nicht nur um eine griechische causa handelt. Die Krise ist hausgemacht, sie folgt der Logik des inneren Konstrukts der EU, ausgerichtet auf die Konkurrenzfähigkeit der EU im globalen Maßstab, der Öffnung der EU für ungebremste Finanzspekulationen, der seit Jahren verfolgten Privatisierung sozialer Sicherungssysteme und öffentlicher Dienstleistungen und tiefer sozialer Spaltungen.
Kommissionspräsident Barroso und die EU-Regierungschefs fühlten sich auf der sicheren Seite: Die im Jahr 2000 beschlossene Lissabon-Strategie und unser Euro würden uns sicher durch die Untiefen steuern. Das Ergebnis ist bekannt. Die alte Lissabon-Strategie läuft aus. Eine gute Gelegenheit also, längst fällige Korrekturen vorzunehmen, die EU vom Kopf auf die Füße zu stellen, die Bürger und Bürgerinnen der Mitgliedstaaten in die Entscheidungen einzubeziehen. Es geht um eine neue Strategie der EU, die sich den Herausforderungen, vor denen wir stehen – europäisch und global – stellt.
Barroso nutzte die Wirren des Streits um die Besetzung von Posten, um ohne öffentliche Analyse der Ergebnisse der alten Strategie den Text für eine Nachfolgestrategie zu präsentieren. Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen durften kurzfristig Stellung nehmen. Barroso lobte den Dialog. Die NGO reagierten empört. Sie fanden sich in dem Dokument nicht wieder. Und das Europäische Parlament? Es saß und sitzt am Katzentisch.
Die gesamte Debatte kreiste in den vergangenen Wochen um Einzelthemen. Als Abgeordnete dürfen wir mündliche Anfragen zur politischen Relevanz der neuen EU-2020-Strategie in der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise stellen. Wir werden informiert und wir werden angehört. Wir dürfen aber diese 2020-Strategie nicht mit unseren Forderungen beeinflussen, sie verändern, Defizite füllen und Prioritäten anders setzen. Wir sind nicht in die strategischen Weichenstellungen eingebunden. Stattdessen erleben wir an fast jedem einzelnen Punkt einen Machtkampf zwischen den europäischen Institutionen, der trotz und wegen des Lissabonner Vertrags meist zu Lasten des Parlaments geht. Die 27 Regierungschefs mauscheln um die Zukunft Europas.
Was würden wir als Linke in die neue 2020-Strategie einbringen? Zum Beispiel die Realisierung einer Europäischen Sozial- und Umweltunion, die Entwicklung der EU zu einem »BürgerInnenprojekt«, konkrete und verbindliche Ziele zur Ausmerzung von Armut, Kinderarmut, Obdachlosigkeit. Wir würden mit der sofortigen Einführung armutsfester sozialer Mindeststandards beginnen und Sofortprogramme zur Bekämpfung sozialer und ökologischer Zerstörung aufnehmen. Wir würden die Privatisierung sozialer Sicherungssysteme stoppen, Militärprojekte und das Nachrüstungsgebot sowie solche Verhandlungen und Verträge mit Entwicklungsländern einfrieren, die nicht der Durchsetzung der Millenniumentwicklungsziele dienen. Und mit Blick auf Griechenland und unsere gemeinsame Zukunft als EU? Da wären zunächst die Spielräume für Finanzspekulationen zu beseitigen. Wir würden auf die Belastung der großen Einkommen und Vermögen orientieren, die Finanztransaktionssteuer endlich einführen, die Regeln der Europäischen Zentralbank so verändern, dass ein tatsächliches Krisenmanagement betrieben werden kann, und wir würden die Gründung öffentlicher Rating-Agenturen befördern. Das gehört aus unserer Sicht in eine neue Zukunfts- und Nachhaltigkeitsstrategie der EU.
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