Arbeitsverhältnis: Zusatzurlaub für Schwerbehinderte verfällt bei Krankheit nicht

Urlaubsrecht

  • Lesedauer: 4 Min.
Im ND-Ratgeber vom 17.3.2010 sind wichtige Urlaubsfragen erörtert worden, deren Kenntnis zu Beginn der Urlaubsgewährung Unstimmigkeiten oder gar Konflikte vermeiden helfen. Nachfolgend behandelt unser Autor Prof. Dr. JOACHIM MICHAS weitere Urlaubsrechtsfragen, die sich u. a. aus jüngsten Naturereignissen und neuer Rechtsprechung ergeben. Der 1. Teil des Beitrages erschien im Ratgeber Nr. 950 vom 2. Juni 2010.

Unverfallbarkeit von Zusatzurlaub für Schwerbehinderte (§ 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX): Nachdem der EuGH im Januar 2009 und das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Mai 2009 über die Unverfallbarkeit bestimmter Urlaubsansprüche entschieden haben, wenn Arbeitnehmer wegen Krankheit ihren Urlaub nicht nehmen konnten, hat das BAG jüngst den Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert.

Zur Erinnerung: Nach Art. 7 der EU-Richtlinie 2003/88/EG haben alle EU-Länder rechtlich zu sichern, dass jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestlohn von vier Wochen erhält. Dieser Mindesturlaub verfällt nicht – so der EuGH und das BAG – wenn Krankheit den betroffenen Arbeitnehmer an der Urlaubsrealisierung gehindert hat. Das betrifft somit nur den gesetzlichen Mindesturlaub von vier Wochen, nicht dagegen den darüber liegenden Tarifurlaub. Scheidet der Arbeitnehmer zwischenzeitlich aus dem Betrieb aus, hat er Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG.

Mit der Entscheidung des BAG vom 23.3.2010 (Az.: 9 AZR 128/099 ist die Unverfallbarkeit von Mindesturlaub auf den Schwerbehindertenzusatzurlaub ausgedehnt worden. Der Art. 7 der EU-Richtlinie erwähnt den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte genauso wenig wie die EuGH-Entscheidung. Dennoch stellt das BAG fest, dass »...der Anspruch auf Schwerbehindertenzusatzurlaub... das rechtliche Schicksal des Mindesturlaubsanspruchs... teilt«, wenn der Betroffene den Zusatzurlaub wegen Erkrankung nicht nehmen konnte. Auf die Betriebe könnten da einige Belastungen (ggf. Urlaubsabgeltungen) zukommen, die betroffenen Schwerbehinderten werden sich freuen.

Einige Experten rätseln, warum das BAG über den von der EU-Richtlinie und der EuGH-Entscheidung gegebenen Rahmen hinausgegangen ist. Die Urteilsbegründung liegt noch nicht vor, gleichwohl wird es kaum ein anderes stichhaltiges rechtliches Argument geben, als dass ein gesetzlicher Urlaubsanspruch in Rede steht, wie der gesetzliche Mindesturlaub. Es ist zu erwarten, dass es auch Gegenargumente geben wird.

Weiteres Arbeitsrechtliches: Es gibt Betriebe, deren Einfallsreichtum im Hinblick auf Urlaubsberechnung und Urlaubsanrechnung unerschöpflich scheint. Da wird z. B. ein gesetzlicher Feiertag als Urlaubstag gerechnet, weil er ja nach § 2 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) voll zu bezahlen ist, wenn dem Arbeitnehmer wegen des Feiertags Arbeitszeit ausfällt. Fällt der Urlaub auf einen Tag, an dem er an sich gearbeitet hätte (z. B. Himmelfahrt), zählt dieser Feiertag nicht als Urlaubstag, er ist aber nach § 2 Abs. 1 EFZG als gesetzlicher Feiertag zu bezahlen. Anders ist die Rechtslage, wenn an dem gesetzlichen Feiertag keine Arbeitspflicht bestand, wie am Samstag, dem 1. Mai 2010. Der Arbeitnehmer hatte an diesem Tag keine Arbeitspflicht, weshalb er auch keine Feiertagsbezahlung nach § 2 EFZG erhält.

Sehr seltsam, ja unglaublich klingen mehrere Anfragen von Beschäftigten – und nicht etwa nur aus dem Ostteil der Bundesrepublik – wonach Arbeitgeber eine »Nacharbeit« fordern, weil Mitarbeiter Ostermontag wegen des Feiertags nicht arbeiten mussten, weshalb sie die im Arbeitsvertrag vereinbarten 40 Wochenstunden nicht einhalten würden. Darauf muss man erst einmal kommen! Aber wie gesagt, das ist kein Einzelfall.

Manche Unternehmen führen Arbeitszeitkonten und sichern sich so eine flexible Arbeitszeitgestaltung. Es kann infolge aller möglichen Umstände der Fall eintreten, dass nicht ausreichend Arbeit vorhanden ist und die Firma nicht sichern kann, dass die Beschäftigten mit ihrer arbeitsvertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit auch voll beschäftigt werden können. Der Vorteil für die Arbeitnehmer besteht darin, dass sie – trotz weniger gearbeiteter Wochenarbeitszeit – voll bezahlt bekommen. Die so genannten Minusstunden werden später, je nachdem, witterungsbedingt in der Landwirtschaft, auftragsbedingt in anderen Branchen, »nachgearbeitet«, um letztlich auf die vereinbarte (und bezahlte) Wochenstundenzahl zu kommen. Das hat sich in vielen Betrieben bewährt und liegt in aller Interesse.

Eine Firma nutzte die angefallenen Minusstunden zur Urlaubskürzung. Das Arbeitsgericht Schwerin schritt hier ein und entschied, dass diese Verfahrensweise rechtswidrig und damit unzulässig ist (Urteil vom 26.2.2004 – 4 Ca 6/04). Der Betrieb muss über seine Arbeitszeitgestaltung für ein ausgeglichenes Arbeitszeitkonto sorgen, nicht aber über die Anrechnung der Minusstunden als Urlaubszeit.

Übrigens: Muss der Arbeitnehmer dem Chef die Urlaubsanschrift mitteilen? Die herrschende Meinung ist, nein, er ist dazu nicht verpflichtet, zumal ja grundsätzlich ein Rückrufverbot besteht. Gleichwohl sollten Mitarbeiter des Managements oder auch Mitarbeiter mit für den Betrieb lebenswichtigen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht so kleinlich sein, den Urlaubsort nicht zu nennen, man kann ja nie wissen...

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