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»Wir müssen nicht in allem übereinstimmen«
Linksfraktionschefin Kaiser zur heutigen ersten Sitzung der Enquetekommission zur Aufarbeitung der Geschichte
ND: Frau Kaiser, diese Enquetekommission war nicht die Idee der Regierungsparteien, aber Sie verweigern sich nicht. Mit welchen Absichten gehen Sie hinein?
Kaiser: Wozu verweigern? 20 Jahre Nachwende-Brandenburg liegen jetzt hinter uns. Und die Enquetekommission bietet tatsächlich die Chance, Bilanz zu ziehen. Beispielsweise zur Frage, wie ist der Übergang von der DDR-Gesellschaft in die Demokratie gelungen? Deshalb haben wir uns bei der Erarbeitung des Untersuchungsthemas eingebracht. Außerdem gibt es doch für uns nichts zu verschweigen oder zu verdrängen, deshalb haben wir an Verweigern nicht gedacht.
Also haben Sie sich mit dem Anliegen der Oppositionsparteien CDU, FDP und Grüne arrangiert?
Nein. Wir haben es erweitert. Es geht doch vor allem um Schlussfolgerungen für heute und die Zukunft. Ich hoffe jedenfalls, dass es auch bei den Initiatoren um Erkenntnisgewinn und Aufklärung geht, nicht darum, Noten zu verteilen oder gar Urteile zu fällen – über die DDR beispielsweise oder Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt. Wer denkt, es ginge gleichsam darum, den Stolpe-Untersuchungsausschuss noch einmal zusammentreten zu lassen oder die damals vom Parlament eingesetzten kirchlichen Würdenträger für ihre Arbeit bei der Überprüfung der Abgeordneten zu zensieren, verkennt die Aufgabe und die Ziele der Enquetekommission. Unterschiedliche Standpunkte zu Einzelfragen werden doch bestehen bleiben. Wichtig ist aber, ein Klima der Diskussion und des Gedankenaustauschs zu schaffen und Widersprüche produktiv zu machen.
Was wollen Sie denn in diesem Rahmen herausbekommen? Unter den Brandenburgern fragt man sich, weshalb Brandenburg sich gerade in Sparzeiten eine teure Enquetekommission leistet, die doch kaum konkret anwendbare Resultate verspricht.
Wir sollten jetzt, nach 20 Jahren, Ergebnisse von Politik prüfen und fragen, was hat genützt und was nicht. Wo sind begrüßenswerte Entwicklungen eingeleitet worden und wo müsste man nachsteuern, wo müssen wir mehr Kraft investieren? Dabei kann man auch nicht übersehen, dass keineswegs alle Menschen Gewinner der Nachwende-Entwicklung sind. Welche Entwicklungen sind verantwortlich dafür, dass sich nur noch die Hälfte der Menschen an Wahlen beteiligt? Wenn wir keine Schlussfolgerungen für aktuelles und künftiges Handeln ziehen, wäre die Kommission überflüssig.
Aber die Opposition verhehlt doch nicht einmal, dass es ihr um Fehlersuche, um Abrechnung mit den ersten Nachwende-Jahren geht und um nichts anderes.
Das mag die Opposition so denken. Wir werden nicht zulassen, dass die Kommission Forum einer billigen und einseitigen Geschichtsbetrachtung wird. Und wenn im Untersuchungsauftrag von einem »demokratischen Rechtsstaat« die Rede ist, dann steht die Frage: Was war die DDR? Das berührt zum Beispiel die gegenwärtige »Unrechtsstaat«-Debatte.
Gerade die CDU hat aber in den vergangenen Monaten sich kaum dem Verdacht ausgesetzt, an Sachlichkeit Interesse zu haben.
Offensichtlich hat die CDU immer noch nicht verwunden, dass sie jetzt in der Opposition sitzt. Sie sollte sich emotional finden und dabei könnte eine sachliche und kritische Betrachtung der Nachwendezeit sehr hilfreich sein, denn sie hat dieses Land die letzten zehn Jahre mitregiert.
Worauf spielen Sie an?
Beispielsweise darauf, dass die CDU in Brandenburg keine verfassungsgebende Partei ist – im Unterschied zur PDS damals. Die Landesverfassung wurde von deutlich über 90 Prozent der Brandenburger angenommen, von zwei Dritteln der CDU-Fraktion aber nicht. Und mehr als die Hälfte dieser Fraktion hat sogar dagegen gestimmt. Das wurde niemals korrigiert.
Was lässt Sie hoffen, dass es der Opposition auf Sachlichkeit ankommen könnte und sie in der Enquetekommission nicht vielmehr ein Forum für Angriffe und Beschuldigungen sieht.
Mein Glaube an Vernunft und den guten Willen der meisten Menschen. Die CDU erschüttert ihn häufig, wenn ihre Politiker beispielsweise von »rot-roter Pest« reden oder uns vorwerfen, wir würden »roten Terror« unterstützen, dann ist das schon unglaublich. Zumal diese Vorwürfe von brandenburgischen Politikern erhoben werden, die beispielsweise keine Probleme damit hatten, den Kriegspräsidenten George Bush offen und schriftlich in seinem Vorgehen zu unterstützen und zu ermutigen. Dann muss man um die demokratische Kultur wirklich fürchten.
Wie kann diese Kommission angesichts von fast zwei Dutzend Themenkomplexen zu vernünftigen Ergebnissen gelangen, wenn doch jeder einzelne dieser Komplexe eine eigene Enquetekommission rechtfertigen und beschäftigen würde?
Ich könnte mir vorstellen, dass bei 15 Kommissionsmitgliedern jeder einen Themenbereich federführend bearbeitet und vielleicht Thesen vorlegt, die dann diskutiert werden. Das kann natürlich dauern. Aber warum sollte die Kommission nicht zwei bis drei Jahre arbeiten?
Interview: Wilfried Neiße
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