Dem Kolonialismus verhaftet
Ausstellung »Who Knows Tomorrow« zeigt zeitgenössische afrikanische Kunst an vier Orten
Als »Kunstwerke von globaler Aussagekraft« lobte Horst Köhler in einer seiner letzten Handlungen als Bundespräsident die Arbeiten fünf afrikanischer Künstler, die unter dem Titel »Who Knows Tomorrow« an vier prägnanten Stellen im öffentlichen Raum Berlins zu sehen sind. Die mit ihrem fragenden Motto in die Zukunft blickende Ausstellung ist allerdings eher der Vergangenheit zugewandt. Das liegt nicht nur an der Verknüpfung mit dem Ex-Präsidenten, der sich in seiner Amtszeit durchaus für Afrika ins Zeug warf. Es liegt auch am Thema Kolonialismus, das zwischen den meist sehr großen Kunstwerken und den historischen Orten, an denen diese installiert sind, hervorquillt. Neuere Formen des Kolonialismus bleiben eher ausgespart.
Am elegantesten setzt sich Yinka Shonibare mit diesem Thema auseinander. Der in London geborene, in Nigeria aufgewachsene und in London zum Künstler herangereifte Mann stellt kopflose Figuren, die in viktorianische Kleidung aus Stoffen mit afrikanischen Mustern gesteckt sind, unter dem klassizistischen Himmel der von Karl Friedrich Schinkel kreierten Friedrichswerderschen Kirche auf. Shonibares bunte Gestalten bilden einen starken Kontrast zu den in der Kirche vertretenen klassischen Statuen von Rauch, Tieck und Schadow. Stärker noch wird der Kontrast, weil die Marmorstatuen eine elegische Sanftmut ausstrahlen, während Shonibares Figuren mit Waffen auf einen Fasan anlegen. Der Vogel ist bereits in seine Einzelteile auseinandergefallen. Einen ironischen Hinweis auf die Globalisierung liefern Muster und Fabrikation der Stoffe. Sie gelten heute als typisch afrikanisch, wurden aber von den Briten in Indonesien entwickelt und von da im Commonwealth verbreitet.
Auch direkten Berliner Ortsbezug stellt der Künstler mit dieser »Scramble for Africa« getauften Installation her. Shonibare stellt mit seinen Gestalten die Berliner Afrika-Konferenz von 1884 dar, während der die Europäer sich um ihre jeweiligen Einflusszonen in Afrika stritten. Der Vorsitz der Konferenz lag bei dem deutschen Reichskanzler Bismarck. Die heftig gestikulierenden, mal drohenden, mal sich einschmeichelnd zum Nachbarn beugenden Gestalten könnten aber auch durchaus Teilnehmer heutiger Schacherei-Treffen darstellen.
Kritisches Potenzial bis in die Gegenwart hat die Container- Installation vom angolanischen Künstler Antonio Ole. Die mächtige Wand aus Frachtcontainern, mit der er den Seitenflügel des Hamburger Bahnhofs zustellt, ruft nicht nur die ursprüngliche Nutzung des heutigen Kunsttempels in Erinnerung. Durch die Gestaltung der Container als Behelfsunterkünfte lässt Ole vor allem die in den Vorstädten der Dritten und zunehmend auch der Ersten Welt grassierende Not auf den Vorplatz des Museums einsickern. Oles Installation spielt zudem damit, gar nicht als Kunst, sondern nur als ein verlassenes und jetzt in eine Behausung verwandeltes Containerlager wahrgenommen zu werden.
Im Hamburger Bahnhof selbst ist ein Film über die Sisalproduktion von Zarina Bhimji zu sehen. Geschickt in den Alltag fügt sich Pasquale Marthine Tayous Flaggeninstallation vor der Neuen Nationalgalerie ein. Die wehenden Fahnen vor dem öffentlichen Bau könnten durchaus rein repräsentativen Zweck haben. Tayou, ein studierter Jurist aus Kamerun, der sich angewidert vom Korruptionsgestank von seinem erlernten Beruf abwandte und Künstler wurde, hat afrikanische Nationalflaggen ausgesucht. Für ein paar Wochen verfügt Berlin also über eine Art Mahnmal der Überwindung des alten Kolonialismus.
Leider haben sich die Kuratoren der Staatlichen Museen von Berlin nicht getraut, das ganze Selbstkritik-Potenzial auszuspielen, das in dieser großen Installations-Show steckt. Den monumentalen Vorhang aus Aluminiumschrott des aus Ghana stammenden und jetzt in Nigeria lebenden Bildhauers El Anatsui ließen sie nicht vor dem Portal eines der Museen aufspannen, die mit Objekten gefüllt sind, die fleißige deutsche Ausgräber aus Asien und Afrika zusammengetragen und oft genug gegen den Willen der lokalen Gesellschaften fortgebracht haben. Der so mächtige wie fragile Teppich hängt stattdessen vor den Säulen der in der Frage kolonialer Kunstschätzeplünderungen eher unverdächtigen Alten Nationalgalerie. Dennoch bleibt »Who Knows Tomorrow« eine zwar kritische und stellenweise beeindruckende Ausstellung. Sie gelangt über die Pose einer wohlfeilen Kritik, die den eigenen Standpunkt niemals gefährdet, aber nicht hinaus.
26.9., Alte Nationalgalerie, Friedrichwerdersche Kirche, Neue Nationalgalerie, Hamburger Bahnhof, www.whoknowstomorrow.de
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