Märchen ad absurdum führen
Sprengsatz auf Krisen-Demo Thema im Innenausschuss / Fraktionen bekunden einhellig Solidarität
Zwölf Polizeibeamte wurden verletzt, davon zwei im Krankenhaus notoperiert. So sieht momentan die Bilanz der Großdemonstration des Bündnisses »Wir zahlen nicht für eure Krise« aus. Den bis zu 20 000 friedlichen Demonstranten stehen nun ein paar Einzelne gegenüber, die am Samstag einen selbst gebastelten »pyrotechnischen Gegenstand« in Richtung Polizei warfen.
Hinter diesem Vergehen stecke nichts weiter als reine Gewaltlust, sagte Innensenator Erhart Körting (SPD). Er spreche diesen Menschen ab, dass dahinter noch irgendeine Politik stecke, urteilte er in der Sitzung des Innenausschusses am Montag. »Man müsse«, tönte es aus der CDU-Fraktion, »das Märchen, linke Gewalt richte sich nur gegen Sachen, endlich ad absurdum führen.«
Wie Polizeipräsident Dieter Glietsch schilderte, habe am Samstag gegen 14 Uhr der »antikapitalistische Block« mit etwa 450 Personen die Torstraße passiert. Aus diesem Block seien bereits verschiedene pyrotechnische Gegenstände in Richtung der Einsatzkräfte geworfen worden. Schließlich sei die den Demonstrationszug begleitende elfte Hundertschaft mit dem Sprengsatz beworfen worden. Zivilbeamte hätten drei Tatverdächtige beobachtet und gegen 16 Uhr festgenommen. Die Wohnungen der drei Männer aus Berlin und Brandenburg wurden durchsucht, sagte Glietsch. Es seien legale und illegale pyrotechnische Stoffe gefunden worden. Für einen richterlichen Beschluss reiche die Beweislage jedoch nicht aus, daher seien die Männer wieder freigelassen worden. Das Landeskriminalamt ermittelt derzeit wegen versuchten Totschlages.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verurteilte die Gewalt gegen Polizisten scharf und verlangte Konsequenzen. Mit den Angriffen militanter Demonstranten »setzt sich die Zunahme von Gewalttätigkeiten der linken Szene fort«, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Montag in Berlin. Bei den Tätern sinke die Hemmschwelle, es würden schwerste Verletzungen der Polizeibeamten in Kauf genommen. Friedliche Demonstranten dürften Gewalttätern nicht unter dem Deckmantel der Demonstrationsfreiheit Schutz bieten.
Die CDU-Fraktion suchte am Montag die Verantwortung auch bei den Veranstaltern der Demonstration. Im Voraus habe sich aus der Palette der Veranstalter in keinster Weise ein Verbot ergeben, sagte Polizeipräsident Glietsch.
Die Gewerkschaft der Polizei in Berlin forderte nach der Sprengsatz-Attacke ein entschlosseneres Vorgehen gegen linke Gewalt. Die Politik müsse die Strafen für Angriffe auf Polizisten verschärfen, forderte der Landesvorsitzende Michael Purper. »Diese Chaoten nehmen den Tod von Menschen in Kauf«, sagte der Gewerkschafter. Sie entwickelten dazu immer wirkungsvollere Brandsätze mit technisch verbesserten Zündsatzmechanismen.
Die Vorsitzenden aller Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses bekundeten am Montag einhellig ihre Solidarität: »Dieser Anschlag stellt eine neue Eskalationsstufe der Brutalität gegen Polizeibeamte dar und ist nicht zu rechtfertigen.« Man verurteile jegliche Form der Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung, hieß es in dem Schrieben weiter. »Wer derart kriminell handelt, schadet den Anliegen von Demonstrationen.«
Ob es nach dem Sprengsatz auch verletzte Demo-Teilnehmer gab, ist nicht bekannt. Die Polizei sucht nun fieberhaft nach den Tätern, vermutlich vorwiegend im linksextremen Spektrum. Ob es nun »Chaoten« oder Extremisten waren – die eigentliche, friedliche Demo ist völlig in den Hintergrund gerückt.
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