Fußball-WM (4): Einwürfe, Fußnoten

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

ER. WER ist das eigentlich? ER geistert durch viele Kommentare. Griechenlands »sport day« zum Beispiel« schrieb, ER sei Otto Rehhagel »nicht gerade gnädig«. Englands »sunday express« betete, ER möge »seine Hand über Britanniens Trainer Capello« halten.

ER. Der Fußballgott.

Immer wieder Beschworener, wenn das Hauptmerkmal des Fußballspiels durchbricht: die wundervolle Unlogik. Es gibt den Wettergott, den Glücksgott, Karel Gott. Der Wettergott sitzt in U-Haft, weil er nicht nur Kachelmann heißt, sondern verdächtigt wird, wirklich ein Mann zu sein; den Glücksgott entlarvte Brecht als durchtriebenen Geschäftsmann; und Karel Gott muss offenbar so abgöttisch lieben, dass ihm eine überspäte Vaterschaft widerfuhr. Götterdämmerung. Und Renaissance für IHN, den Fußballgott. ER kam sogar in der DDR vor, im DEFA-Film »Der nackte Mann auf dem Sportplatz«, es war in einer Grabrede auf einen Provinzfußballer – allerdings wurde da aus atheistisch bedingter Sklavensprache lieber vom »großen Schiedsrichter« gesprochen, der den Verstorbenen »aufs höhere Spielfeld berufen« habe.

ER ist notwendig, weil Fußball nicht mit der Hand gespielt wird. Die menschliche Hand ist ein zielsicheres, genau steuerndes Führungsorgan. Deshalb fallen beim Handball so viele Tore. Nicht beim Fußball. Selbst Brasilien schaffte gegen Nordkorea kein 78:0. Der Fuß ist zum Stolpern da, von ihm springt alles unberechenbar ab, mit ihm kann man keine Stullen schmieren, und einen Brief schreiben können wir Gewöhnlichen mit den Füßen nicht mal im volltrunkenen Zustand. Nur wenn wir uns genau diese fatale Lage vergegenwärtigen – nur dann können wir uns in etwa ausmalen, was Fußballer leisten müssen. Als sei der Fuß nicht nur die Hand, sondern sogar der Kopf. Ist der Fuß aber nicht. Der Fuß ist vom Naturell her kopflos. Und also wundert doch niemanden mehr, wie diese Millionäre kurz vorm gegnerischen Tor, in wild entschlossener und einer jahrelang eintrainierten Unkontrolliertheit, Bälle so in den Himmel setzen, dass diese sofort auf die Vermisstenlisten der Interpol kommen. Unsere Füße sind Idioten. Dürfen aber zu einer Weltmeisterschaft, als wären sie Barenboims Klavierfinger. Diese Welt ist so tolldreist wie rätselhaft!

Aber eben nur, weil ER lenkt. Zwar gewann Argentinien 1:0 gegen Nigeria, aber der afrikanische Schlussmann Enyeama, der einige Messi-Chancen durchkreuzte, fand zur euphorischen Bilanz: »Der Fußballgott ist mein Freund, er verschafft mir die Ruhe und ist mein Geheimnis.« Nach dem Match – der nigerianische Torwart wurde zum Mann des Spieles gekürt – gratulierte ihm Maradona. Beglückender ging's nicht: die Hand Gottes.

Ach, wahrscheinlich ist alles viel einfacher. So einfach, wie es die »Bild«-Zeitung weiß: ER, der Fußballgott, sei ein Deutscher. Das kann durchaus sein. Auch wenn Mertesacker nicht Gottesacker heißt. Aber: Gottes Frieden bedeutet: argloses Zusammenleben von Löwe und Lamm – könnte doch auch heißen: Löw und Lahm. Und funktioniert offenkundig wunderbar. Ja, der Fußballgott ist ein Deutscher. ER, das ist Franz Beckenbauer. Denn jeden, den der Bayer sieht, fordert er auf, ihm »Guten Tag« zu sagen. So sagt er's natürlich nicht. Er drückt es gebieterischer aus: »Grüß Gott!«

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