Einwürfe, Fußnoten
Fußball-WM (5)
DIESES FOTO hat mit Jean Paul Sartre zu tun ...
Aber zunächst mit Goethe. In dessen »Prometheus« steht das sehr schöne lange Wort von den »Knabenmorgen-Blütenträumen«. Der Blütentraum im Vorgarten – der Knabenmorgen in Südafrika. Denn: Noch nie war eine deutsche Mannschaft so jung, und da darf einem das wirkliche Alter der Elf jetzt egal sein, es geht um die Jugend im Gemüt. Wenn man in frühere deutsche Fußball-Gesichter sah, dachte man: Kampf. Jetzt: Spiel. Eine Auswahl am Anfang, Knabenmorgen eben. Und diese Straße da, auf dem Foto, von der Weltmeisterschaft in ein Still-Leben verwandelt, sie wird durch das Fernsehbild doch zugleich von Abertausenden bevölkert. Liebe zum Fußball per Fern-Verkehr, zwischen Fiebernden dort und hier.
Es ist, als seien sämtliche Vorüberfahrenden von ihren Rädern gestiegen und säßen nun, unsichtbar für uns, vor dem Fernseher. Dicke Schlossketten tun ihren Sicherheitsdienst, als kämen die Fahrer so rasch nicht zurück. Begeisterung trägt weit.
Jean Paul Sartre beobachtete, wenn er Fußball schaute, eine merkliche Veränderung seiner Freunde: »Plötzlich sahen sie mich mitleidig, auch ein wenig wütend an, als sei ich – ausgerechnet ich - ein Gefoppter, der auf unbegreifliche Weise dem Sog einer Kapitalmacht verfallen sei.« Und der linke Philosoph sehnt sich in solchen Momenten, »da ich mich von ödem, zudem meist noch antinationalem Rationalismus überfallen sehe«, nach den Kleingärten der Vorstädte, in denen bei »Rotwein und Bier und gut durchgebratenem Fleisch die Leute vor Sportübertragungen sitzen«. Und all denen, die mit einem politischen Programm vielen Menschen nahekommen wollen, ihnen wünscht er, sie würden diese Sportprogramme »ernster nehmen, als es die Vernunft, die gern die Lippen zusammenpresst, ihnen einzuflüstern versucht«.
Dies am heutigen deutschen WM-Spieltag durch die Blumen dieses Fotos gesagt, die vor WM-Blütenträumen doch wahrlich strotzen ...
Text: Hans-Dieter Schütt
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