Mehr als Brot und Spiele in Braun

Die Reichsparteitage der NSDAP in Nürnberg

  • Kurt Pätzold
  • Lesedauer: 5 Min.
Inszenierung der Macht – Reichsparteitag
Inszenierung der Macht – Reichsparteitag

Zu den Bildern aus den Zeiten faschistischer Herrschaft in Deutschland, die wieder und wieder publiziert werden, gehören die von den Reichsparteitagen der NSDAP, die in Nürnberg stattfanden. Sie finden sich in Zeitungen und Zeitschriften, Bildbänden und Schulbüchern und werden beständig in Fernsehdokumentationen gezeigt. Befremdet und kopfschüttelnd blicken die Nachgeborenen auf die marschierenden oder zu Appellen angetretenen Zehntausenden. Das alles scheint so fern wie die Kohorten römischer Legionen, die beständig in Spielfilmen über Leinwände oder Bildschirme dahintrotten. Nicht ganz freilich.

Aus der Reihe der NSDAP-Parteitage, die die an die Macht gelangten Faschisten in den Jahren von 1933 bis 1938 veranstalteten, der 1939 fand wegen des eröffneten Krieges nicht statt und der für 1940 schon vorbereitete fiel wegen des unerreichten Endsieges aus, ragt der des Jahres 1935 heraus. Mit ihm verbindet sich vor allem der vom faschistischen Reichstag gefasste Beschluss über die antijüdischen (Nürnberger) Gesetze. Doch ist das der Blick, der gleichsam von Auschwitz rückwärts gerichtet ist. Wir wissen, was folgte. Die Zeitgenossen sahen das anders und viele Nazis waren enttäuscht, dass sich ihre an diese Beschlüsse geknüpfte Erwartung, nun werde der Generalangriff auf die wirtschaftlichen Positionen erfolgen, welche Juden trotz aller Benachteiligungen noch behaupten konnten, sogleich nicht erfüllte (sie hatten noch etwa drei Jahre zu warten). Dieser Parteitag war die bis dahin stärkste Machtdemonstration des Regimes.

1933 war die Frage, ob und vor allem in welchem Grade und Tempo sich diese Herrschaft würde stabilisieren können, noch nicht entschieden. 1934 versammelten sich die Faschisten nach den Morden an den SA-Führern um Ernst Röhm zu einem Teil doch noch irritiert. 1935 aber hatte die Diktatur an Stabilität gewonnen und wies Erfolge vor. Die Arbeitslosigkeit war erheblich gesenkt und die Perspektive auf ihre völlige Beseitigung glaubhaft gemacht. Das 1920 abgetrennte Saargebiet hatte sich »Heim-ins-Reich« gestimmt. Aus der Reichswehr war die Wehrmacht geworden und für sie die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Am deutschen Himmel kreisten Militärflugzeuge einer modernen Luftwaffe. Nur Tage nach dem Parteitag wurde die erste deutsche Unterseebootflottille in Dienst gestellt. Dies illustrierte, was gemeint war, wenn das Spektakel von Nürnberg die Bezeichnung »Parteitag der Freiheit« erhielt. Gemeint war die Freiheit, Deutschland wieder bis an die Zähne zu bewaffnen, eine Freiheit, die sich seine Machthaber teils gegen Einsprüche genommen hatten, die ihnen teils aber auch, wie durch Großbritannien im eben abgeschlossenen Flottenabkommen, zugestanden wurde.

Auf diesem Wege war der Hitler-Regierung weiterer Beifall zuteil geworden. Am wenigsten laut allerdings von denen, die von ihm am meisten materiell und durch erweiterte eigene Machtstellung profitierten: die deutschen Rüstungsindustriellen. Hochgestimmt waren auch die Ingenieure und Techniker in den Konstruktionsbüros, die ihre Fähigkeiten lange nur insgeheim und in kleinem Maßstab hatten ausleben können und nun zu neuem Ansehen gelangten. Nicht anders die Großgruppe der »Alten Kameraden« und »Frontkämpfer«, denen die Jahre 1914 bis 1918 als Hochzeit ihres Lebens galten und die diesen Wandel, das Ende der »Schmach von Versailles«, herbeigesehnt und geschrieen hatten. Unter deren Einfluss begannen Heranwachsende und Kinder von künftigen Heldentaten zu träumen, erregt und angefeuert durch Bücher und Filme von Schlachten und Siegen. Gewiss wirkte unter der Mehrheit der Deutschen die Erinnerung an die Kriegsleiden nach. Aber der »Führer« versicherte ja, dass kein Quadratmeter des Deutschland »geraubten« Bodens das Leben eines einzigen Soldaten wert sei ...

Dieser Parteitag war nach innen und außen eine Demonstration der gefestigten Macht. Seine Bilder der Begeisterung, der Disziplin, der Gefolgschaftstreue erzeugten einen Eindruck, dem sich auch als Beobachter teilnehmende Diplomaten und ausländische Korrespondenten nicht entziehen konnten. Er bestand aus einer Mischung von Staunen, Abgestoßensein und der Wahrnehmung einer Gefahr. Und die da auf- und vorbeimarschiert waren, die Braun- und Schwarzuniformierten, herangeschafft vom Bodensee bis zu den ostpreußischen Haffs? Sie hatten etwas erlebt, was ihnen vordem nicht geboten worden war und was sie diesem »Führer« verdankten, der sie gerufen hatte. Die Kameraderie in den Zeltlagern, in denen sie nächtigten, das Gedränge an den Gulaschkanonen, das Gaudi der Kampfspiele, das war etwas für echte »Männer« und da hatte man, heimgekehrt, etwas zu erzählen.

Die Inszenierungen der Parteitage waren immer auch Höhepunkte für die Mehrung des Führerkultes. Das galt in erster Linie für Hitler, auf dessen Auftritte hoch über den Massen die Kulisse aus dem sogenannten Parteitagsgelände zugeschnitten war. Doch nicht für ihn allein. Heinrich Himmler an der Spitze der mit martialischen Gesichtern defilierenden SS, Baldur von Schirach als Führer der Hitlerjugend und die anderen Größen, die Spezialformationen wie das Kraftfahrer- und das Fliegerkorps, die Arbeitsfront und den eben geschaffenen Arbeitsdienst befehligten – sie alle verkörperten im Glanz ihrer unausgesetzt prächtigeren Uniformen, die ihnen bei Nazigegnern den Spottnamen »Goldfasane« eintrugen, einen Hierarchiestrang des Systems, der von Hitler bis zu den niedrigsten Führerlein reichte, denen zu gehorchen war. Diese Effekte ließ sich, um ihre Bedeutung wissend, das Regime etwas kosten.

So geschichtsfern die NSDAP-Parteitage dem heutigen Betrachter anmuten mögen, sie bildeten eine verwirklichte Form des Prinzips Brot und Spiele. Das oft zitierte, auf eine freie Übersetzung von panem et circensis zurückgehende Wortpaar Juvenals meint indessen nicht nur, dass das Volk sich unterhalten lässt. Es tut das im Zustand des Verzichts auf eigene Machtausübung. Die Kritik des Römers trifft nicht nur jene, die diese Methode der Massenbeherrschung praktizieren, sondern mindestens ebenso jene, die sie akzeptieren und sich ihr unterwerfen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: