Holpriger Trip zu den Wurzeln
Country-Veteran Willie Nelson spielte im Tempodrom auf
Was ein texanisches Urgestein ist, schlägt sich auch gegen König Fußball noch ganz ordentlich. Der 76-jährige Country-Veteran Willie Nelson füllte am Donnerstag beim ersten seiner drei Deutschlandkonzerte das Berliner Tempodrom bis fast auf den letzten Platz. Und das obwohl zu erwarten war, dass von Nelson und seiner fünfköpfigen musikalischen »Family« kein emotionsgeladenes Showfeuerwerk abgebrannt würde, keine Minisensation wie der Sieg Mexikos über die französische Nationalelf zu erwarten war. Statt dessen wurde eine im positiven Sinne bescheidene Reise zu den musikalischen Wurzeln Nordamerikas unternommen: Country, Blues, Americana, hier und da etwas Jazz, eine kräftige Prise melancholischer Folk.
Einen besseren Scout als den seit Jahrzehnten aktiven Nelson hätte sich das mit seinem Star in die Jahre gekommene Berliner Publikum für diesen Trip nicht wünschen können. Mit Bedacht legte Nelson, seine berühmten geflochtenen Zöpfe auf Schulterlänge gestutzt, das Gewicht auf älteres Liedgut, hierbei nochmals mit Betonung auf ruhigere Nummern, wobei das schmissige »On the Road again« eine der wenigen Ausnahmen bildete. Beeindruckend war auch, wie der rüstige Althippie in kurzen eineinhalb Stunden (ohne Zugabe) über 30 Songs unterbrachte, darunter »Whiskey River«, »Blue Eyes cryin' in the Rain«, »Superman« oder »You don't think I'm funny anymore«.
Den politischen Aktivisten Nelson, der etwa lautstark die offizielle Version der Anschläge vom 11. September 2001 bezweifelt und auch sonst mit seinen teils kontroversen Meinungen nicht hinter dem Berg hält, lernte man am Donnertag leider nicht kennen. Einsilbig und nicht sonderlich an Interaktion interessiert, wurde das Programm gespielt – was schwer genug war, angesichts eines offensichtlich unfähigen Drummers, dem selbst die traditionell simplen Shuffle-Figuren des Genres große, teils ärgerliche Schwierigkeiten bereiteten.
Dennoch: Dass man beim Wort Country vor dem geistigen Auge nicht mehr (irrtümlicherweise) die Kapuzen-Finsterlinge vom Ku-Klux-Klan oder einen Südstaaten-Lynchmob sieht, ist auch ein Verdienst Nelsons – den er natürlich mit Kollegen wie Johnny Cash und, im weiteren musikalischen Sinne, auch mit Folk-Protagonisten wie Bob Dylan teilt. Dazu ist Nelson durch Auftritte etwa in der Politsatire »Wag the Dog« auch optisches Symbol des »Gegenamerika«. Insofern ist bereits seine Weigerung, von den Bühnen der Welt abzutreten, ein politisches Statement.
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