Gefeiert, geliebt und ermordet
Das Verborgene Museum erinnert mit einer Ausstellung an die Tänzerin Tatjana Barbakoff
Sie habe »eine große, anmutig derbe und verschlossene Kraft im Ausdruck«, liest man in Fred Hildebrandts Bildband »Tänzerinnen der Gegenwart« von 1931 über Tatjana Barbakoff. Nummer 1 ist ihr Foto unter den 56 Studioaufnahmen noch heute fortwirkender Größen wie Tamara Karsavina, Mary Wigman, Palucca, Josephine Baker. Auch der Film »Tanz unterm Hakenkreuz« reißt Barbakoffs Schicksal an. Viel mehr weiß man nicht über die einst populäre Tänzerin, »die mit traumhaften und heißen Gebärden Pantomimen hinzaubert, die wesentlicher sind als ganze Kavalkaden von Tanzmädchen«.
Dies schmeichelhafte Resümee des Schriftstellers Anton Schnack nahm Barbakoff in ein Programmheft auf. Zu sehen ist es neben 80 weiteren Exponaten im Verborgenen Museum, das »Luftbilder aus Händeweiß und Blutrot, Traumgrün und Vogelblau« zu Leben und Wirken der Tänzerin malt. Wie viele Zeugnisse sich erhalten haben, ist glückliche Fügung und ebenso Beweis für den inspirierenden Einfluss der Barbakoff. Studiofotos etwa halten fest, wie sehr sie Kind ihrer Ära war. Barbakoff posiert da in russischem Ornat, im pastell ornamentierten chinesischen Kostüm eigenen Entwurfs, im mongolischen Fahnentanz.
Stehen »Elegie«, die expressive Studie »Am Pranger«, bei der Kopf und Hände der Interpretin anklagend aus einem Brett ragen, die schalkhafte »Parodie«, der Maskenstudie »Debut« noch in der Tradition des Ausdruckstanz, mag sich ihr Interesse am exotischen Sujet nicht nur dem Geschmack der Zeit andienen, sondern auch ein Relikt ihrer Herkunft sein.
Als Tsipora Edelberg wird sie 1899 mit jüdischen Wurzeln im zu Russland gehörenden Lettland geboren, lernt als Kind Ballett, folgt mit 19 einem deutschen Offizier in dessen Heimat. Erste Auftritte 1921 im Düsseldorfer Schauspielhaus, auch mit russischen Tänzen, weist ein Plakat aus, ein weiteres kündigt mit einem Holzschnitt Vorstellungen 1929 in Konstanz an. Da ist Barbakoff, so ihr Künstlername, bereits ein Star. Fotografen von Rang, Willy Maiwald etwa oder in Berlin Yva, porträtieren sie in expressiven Haltungen, rücken ihr asiatisch anmutendes Gesicht mit straffem Haar, hochgezogenen Brauen, oft künstlich verschmälerten Augen wirksam in Szene. Bildenden Künstlern ist sie gern genutztes Modell, so Christian Rohlfs, der sie in den 29 Blättern eines Zyklus’ fixiert, Erich Heckel, den ihr »exotischer Tanz« fasziniert, Otto Pankok, der eine Gipsmaske ihres Gesichts fertigt, Gert Wollheim, der Lebensgefährte bis zum bitteren Ende. Barbakoff ihrerseits tanzt nach Plastiken von Ernst Barlach. »Die deutsche Illustrierte« setzt sie 1926 auf den Titel, Fotopostkarten kursieren, in Zigarettenalben taucht ihr Konterfei auf.
Unter den bildhaften Darstellungen der Barbakoff ist eine zart schwebende Radierung Max Pollaks von 1929, auch sie, wie viele Exponate, Privatbesitz. Auftritte in Berlin, Locarno, Ascona, den Niederlanden folgen, mehrfach in Paris, wo sie Jean Weidt begegnet, in der »Academia« von Isadora Duncans Bruder Raymond gastiert. 1940 wird sie im französischen Gurs interniert, kann entkommen, wird 1944 in Nizza erneut verhaftet, nur wenige Tage später in Auschwitz vergast. 800 Francs, hält das Notizbuch der Durchsuchungen fest, wurden bei ihr »sichergestellt«: Mit dem Geld wollte sie in die Schweiz flüchten. Auch wenn eine überlebende Freundin über Jahre in Frankreich den Tatjana-Barbakoff-Preis verliehen hat, auf dem 2005 eingeweihten Holocaust-Memorial in Paris ihr Name auftaucht, die Rekonstruktion ihres chinesischen Tanzes »Durch Gärten« an sie erinnert, zählt sie zu den vergessenen Tänzerinnen.
Bis 27.6., Verborgenes Museum, Schlüterstr. 70, Charlottenburg, Telefon: 313 36 56, Infos unter www.dasverborgenemuseum.de
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