Am Ende der verlängerten Werkbank
Demonstration gegen massiven Stellenabbau in Plauen / Unternehmen verlagern nach Polen
Die NEMA in Netzschkau war einmal ein stolzes Unternehmen. Die 1889 gegründete Maschinenbaufabrik war in Osteuropa alleiniger Hersteller von Anlagen zur Umweltsimulation. Heute produzieren 189 Menschen in dem Werk, das inzwischen zum GEA-Konzern gehört, Wärmetauscher für Kraftwerke. Sie erwirtschaften Gewinne, müssen aber trotzdem um ihren Arbeitsplatz fürchten: Im Oktober soll NEMA Netzschkau abgewickelt werden.
Solche Hiobsbotschaften häuften sich zuletzt im Vogtland. Nachdem bereits 2008/09 im Bezirk der Arbeitsagentur Plauen 3400 Arbeitsplätze verloren gingen, drohe 2010 der Verlust weiterer 2000 Jobs vor allem im verarbeitenden Gewerbe, sagt Sabine Zimmermann, DGB-Chefin der Region und Abgeordnete der LINKEN im Bundestag, die sogar vor drohender »Deindustrialisierung« der Region warnt.
Tatsächlich ist die Liste der Betriebe, die schon geschlossen wurden, sich in einer schwierigen Lage befinden oder Teile ihrer Produktion zu verlieren drohen, lang. Der Garnhersteller Enka in Falkenstein wurde ebenso abgewickelt wie die Plauener Gardine. Die Spinnhütte in Plauen befindet sich in der Insolvenz. Der Bushersteller Neoplan will seine Rohkarossen bald in Polen fertigen lassen, was in Plauen knapp 200 von 580 Stellen kosten könnte. MAN Roland, ein Hersteller von Druckmaschinen, befindet sich wegen der schwierigen Auftragslage der gesamten Branche in einer »äußerst prekären Lage«, so Stefan Kademann, Bevollmächtigter der IG Metall in der Region. Schließlich will auch der Elektronikkonzern Philips, der im früheren Narva-Werk Lampen herstellt, die Produktion von H4-Halogenlampen nach Polen verlagern; das Werk verlöre damit das Herzstück.
Verärgert sind nicht nur die Gewerkschafter, weil – von MAN Roland abgesehen – viele der Betriebe keineswegs in einer schwierigen Lage sind: »Sie schreiben Gewinne«, sagt Kademann. Gründe für drohende Einschnitte sind seiner Ansicht nach im ungezügelten Gewinnstreben zu suchen. So verdienten die Buskarosseriebauer im polnischen Starachowice nur etwa 400 Euro – deutlich weniger als ihre sächsischen Kollegen: »Die Konzerne nutzen die Finanzkrise, um unter dem Deckmantel von Umstrukturierungen ihre verlängerten Werkbänke abzuwickeln.«
Auf dieses Problem macht auch Zimmermann in einem Brief an CDU-Innenminister Thomas de Maizière aufmerksam, der in der Bundesregierung auch für den Osten zuständig ist. Wie vielerorts im Osten handle es sich bei den Firmen im Vogtland um Reste früherer DDR-Betriebe, die als Zweigstandorte großer Konzerne übernommen worden seien, aber kaum über Forschung verfügten und nun vom Konzernumbau hart getroffen würden. Mitschuld gibt die DGB-Frau einer verfehlten Förderpolitik des Bundes. Es dränge sich »die bittere Erkenntnis auf, dass der Aufbau Ost zumindest industriepolitisch im Vogtland gescheitert ist«, schreibt Zimmermann und drängt auf Korrekturen in der Wirtschaftspolitik sowie generell mehr Engagement der Politik im Bund.
Rückhalt vermissen die Beschäftigten auch im Land, sagt Kademann. Es sei »unfassbar, dass sich in der Politik niemand rührt«, wettert der Gewerkschafter, der vor allem das vom FDP-Mann Sven Morlok geführte Wirtschaftsministerium für fehlendes Engagement und den ausgebliebenen Kontakt zu Gewerkschaften rügt. Kapital aus der Krise im Vogtland sucht dagegen die NPD zu schlagen, die das Thema im Landtag für populistische Parolen instrumentalisiert.
In der Region regt sich derweil Widerstand. Ein Sternmarsch, mit dem tausende Beschäftigte der betroffenen Firmen gestern Nachmittag nach öffentlichen Betriebsversammlungen in der Plauener Innenstadt auf die Lage aufmerksam machten, wurde von der örtlichen Wohnungsgesellschaft, dem Gewerbeverein und sogar der Kreisverwaltung unterstützt, deren Mitarbeitern die Teilnahme erlaubt wurde. Sie alle fürchten um die Folgewirkungen des Arbeitsplatzverlustes. Nach Kademanns Beobachtung entwickelt sich derzeit »ein gesellschaftliches Klima«, das den betroffenen Beschäftigten Rückenwind verschaffe – und die Politik hoffentlich wachrütteln könne.
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