A 100-Ausbau spaltet SPD-Delegierte

Klaus Wowereit und Michael Müller setzen sich in gespannter Atmosphäre auf Landesparteitag knapp durch

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor dem SPD-Parteitag forderten Aktivisten auch die Abschaffung der Residenzpflicht für Flüchtlinge. ND-
Vor dem SPD-Parteitag forderten Aktivisten auch die Abschaffung der Residenzpflicht für Flüchtlinge. ND-

Es ist kurz vor halb sieben am frühen Samstagabend, als es zum ersten Mal wirklich mucksmäuschenstill wird im Congress Zentrum am Berliner Alexanderplatz – bis dahin macht der sonore Hintergrundsound der 227 Delegierten der Hauptstadt-SPD, die hier zu ihrem Landesparteitag zusammengekommen sind, vielen Rednern stark zu schaffen. Doch die Verkündung des Ergebnisses der Abstimmung über die Anträge für und wider den Ausbau der A 100 will niemand verpassen. Äußerst knapp, mit 113 zu 108 Stimmen bei einer Enthaltung setzt sich die SPD-Spitze um den Landesvorsitzenden Michael Müller und den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit mit dem Vorschlag durch, den umstrittenen Autobahnausbau der A 100, eingebunden in ein Verkehrsgesamtkonzept, doch noch anzustreben.

Dass die SPD-Führung die Autobahnfrage noch mal auf die Agenda des Parteitages setzt, kann man durchaus als Vabanque-Spiel bezeichnen. Am Morgen, zu Beginn der Versammlung, gibt sich Klaus Wowereit indes gegenüber Journalisten bereits siegesgewiss. »Die Mehrheit gibt es«, betont er beim Shakehands. Um die Mehrheit zu sichern, bleibt es danach aber nicht nur beim Small Talk mit renitenten Kreisvorsitzenden, sondern die SPD-Führung rüstet auch verbal im Laufe des Tages gegenüber der Basis sukzessive auf.

Als erster wirft sich der zur Wiederwahl stehende Landeschef Michael Müller in die Autobahn-Debatte. »Es geht hier um eine riesige Investition in unserer Stadt«, mahnt er – und kassiert später bei seiner dritten Wiederwahl dafür und wegen Personalquerelen mit 79,5 Prozent gegenüber 91,7 Prozent bei der vorherigen Wahl einen spürbaren Dämpfer.

Der nächste, der den Delegierten eher sanft ins Gewissen redet, ist kein geringerer als der SPD-Bundesvorsitzende selbst. Sigmar Gabriel soll ursprünglich über Bundespolitik sprechen. Dennoch nimmt er insbesondere die widerstreitenden Flügel in der Partei aufs Korn. »Wer fliegen will, soll erst mal laufen lernen«, sagt er. Und dass die SPD für Industrie und Standort stehen müsse. Gabriel ist zur Zeit oben auf, die desaströse Performance von Schwarz-Gelb macht ihm das Opponieren leicht. Seine Rede ist Balsam auf Wahlniederlagen-geschundene SPD-Seelen und wird mit Standing Ovations quittiert – währenddessen drückt Gabriel demonstrativ Wowereit und Müller an sich. Der Applaus ist das erste Indiz, dass das Vabanque-Spiel aufgehen könnte.

Danach spitzt Wowereit selbst die Diskussion noch einmal zu. »Wenn man Regierungsverantwortung hat, dann muss eine Partei bereit sein, der Führung zu folgen«, ruft er den Delegierten unmissverständlich zu. Letztlich geht die Strategie auf, trotz aller Argumente, die die Gegner des Ausbaus der Autobahn einbringen. Dass die SPD an diesem Tag auch ein Konzept für eine solidarische Stadt und einen Beschluss zur Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre verabschiedet, geht im Zoff um die A 100 weitgehend unter.

Beim Koalitionspartner erwartet man jetzt »schwierige Verhandlungen«, wie es LINKE-Fraktionschef Udo Wolf gegenüber ND ausdrückt. Schließlich gebe es einen Parteitagsbeschluss der Sozialisten, der das Ziel verfolge, den Ausbau des 3,2 Kilometer langen und 440 Millionen Euro teuren Autobahnabschnitts zu vermeiden. Das letzte Wort über die umstrittene A 100 dürfte also noch lange nicht gesprochen sein.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -