Wegweiser oder blindes Eigenlob
Rot-rote Koalition stellte Vorreiterrolle Berlins in Sachen fairer Bildungschancen zur Diskussion
»Es gibt nichts aktuelleres als die Bildungspolitik«, sagte Felicitas Tesch (SPD) am Donnerstagnachmittag und erntete Gelächter aus dem Plenum im Berliner Abgeordnetenhaus. In Reaktion auf die kürzlich präsentierten Ergebnisse des Ländervergleiches im Bildungssystem hob die rot-rote Koalition das gute Abschneiden Berlins in punkto Chancengleichheit auf die Tagesordnung der letzten Plenarsitzung vor der Sommerpause.
Die Wellen im Abgeordnetenhaus schlugen hoch, die Opposition reagierte mit Kritik und Unverständnis. Es sei »beschämend«, bei einem 15. Platz im Ländervergleich von einer Vorreiterrolle zu sprechen, wetterte Öczan Mutlu von den Grünen, Mieke Senftleben (FDP) blieb gar die Spucke weg, als sie den rot-roten Themenvorschlag für die Aktuelle Stunde las.
Der Länderschulleistungsvergleich böte Anlass, über Erfolge, »aber auch Weiterbildungsbedarf« zu reden, sagte die bildungspolitische Sprecherin der SPD, Sandra Scheeres, zu Beginn der Aktuellen Stunde. Dazu kam es jedoch nicht. Stattdessen warf man sich gegenseitig vor, alten Ideologien nachzuhängen. Statt mit einander zu diskutieren, rechneten sich Rot-Rot und die Oppositionsparteien gegenseitig einzelne Zahlen aus dem Ländervergleich vor.
»Rot-Rot versucht wieder, von Bildungsproblemen abzulenken, und den katastrophal ausgefallenen Bildungsvergleich schönzureden«, so Andreas Statzkowski (CDU). Auch 15 Jahre sozialdemokratische Bildungspolitik hätten die Stadt nicht vorangebracht, sagte Statzkowski.
Der bildungspolitische Sprecher der LINKEN, Steffen Zillich, betonte indes, Tests ließen keine Rückschlüsse auf Entwicklungen zu. Zudem sei die Situation in Stadtstaaten »nun mal eine andere als in Flächenländern«. Soziale Probleme ballten sich in einzelnen Stadtteilen, Schulen an sozialen Brennpunkten würden bereits in der Ausstattung berücksichtigt. Die Hauptschulen wolle man gerade deswegen abschaffen, weil man wisse, wo die Probleme liegen, so Zillich.
Dem Vorwurf der FDP, Rot-Rot stecke viel Geld in die Kitas und singe das »Hohelied der Beitragsfreiheit«, welches jedoch mit Qualität nichts zu tun habe, schloss sich die CDU an und wetterte, wenn so viel Geld ausgegeben werde, sei das eben nicht nur pädagogisches, sondern auch finanzielles Versagen.
Der wohl einzige annähernd konstruktive Vorschlag zwischen Vorwürfen und guten Absichten kam denn von Öczan Mutlu, der forderte, die Eltern in Zukunft stärker in die Bildung ihrer Kinder einzubinden. »Wenn ein Kind nach drei Jahren Kita nicht gut Deutsch spricht, ist das nicht allein Sache des Bildungssystems.«
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