Ach, wie gut, dass niemand weiß!

  • Mathias Wedel
  • Lesedauer: 4 Min.
Flattersatz – Ach, wie gut, dass niemand weiß!

Joachim ist Mitarbeiter beim Bundesnachrichtendienst. Das behauptet er zumindest. Er dürfe es niemandem sagen, sagt er. Sonst sei er verbrannt. Nur uns, die wir mittwochs mit ihm in der »Kogge« Hefeweizen trinken, uns sagt er es, weil er sich von seinem Dienstherrn (der eine Dienstfrau ist und Merkel heißt) nicht zu einem Doppelleben nötigen lassen will, sagt er. Das sei seine Lehre »aus den beiden deutschen Diktaturen«. Und vom Doppelleben habe er die Nase voll, seit er oft lange auf Montage weilte, wie er seiner Frau Petra glauben machte, was ihm mehr Kinder eingebracht hat, als gut für ihn ist.

Mit seiner beruflichen Vita rückte Joachim erst vor drei Wochen raus. Vorher war er Hartz IV. Vielleicht hatte er es satt, dauernd von uns gefragt zu werden, wie er die Tage umbringt. Als Beweis, dass er ein Geheimer ist, führt er an, dass er einen Tarnnamen hat, den er natürlich auch niemandem sagen darf, nicht einmal uns. »Das Raffinierte ist, dass er so naheliegend ist, dass jeder denkt: Nein, das kann er nicht sein, der ist zu einfach!«, brüstet sich Joachim. Zum Schein rätseln wir noch ein bisschen, welcher Name das sein könnte und Joachim amüsiert sich wie Bolle. Aber wir wissen es längst: Jo! Jo hat ihn seine Mutter gerufen und wir ihn seit der fünften Klasse auch. Bis er uns vor drei Wochen bat, »aus bestimmten Gründen« doch nur noch Joachim zu ihm zu sagen …

Über seine Tätigkeit schweigt er eisern, ist aber tödlich beleidigt, wenn wir anfangen, vom Wetter oder vom Fußball zu reden. Dann ruft er: »Wollt ihr denn gar nicht wissen, wie so ein Geheimdienst funktioniert?« Eigentlich stehen uns die Stasi-Geschichten bis obenhin, doch der BND darf mit der Stasi nicht verglichen werden, denn er wird nur gegen Ausländer eingesetzt. Und um die Stimmung nicht zu versauen, fragen wir ihn und Joachim sagt köstliche Sätze wie »Mit dem Mossad ist nicht zu spaßen« oder »Bestimmte Entwicklungen in Übersee – ich nenne bewusst keinen Namen – geben uns Anlass zur Sorge.«

Dann schweigen wir betroffen und wiegen bedenklich die Köpfe. Joachim nutzt unsere Sprachlosigkeit und ruft aus: »Gut, bevor ihr platzt! Ich sage euch jetzt, was beim Dienst meine konkrete Tätigkeit ist. Aber das bleibt unter uns, verstanden!« Joachim ist nämlich Resident. Das weiß er seit voriger Woche, als die russischen Spione in den USA aufgeflogen sind. Da hieß es in den Zeitungen, die Hälfte der weltweit tätigen russischen Residenten sei aufgeflogen. In welchem Land der Joachim residiert? Das darf er auch nicht sagen. Aber weit weg ist es nicht, sonst könnten wir uns nicht mittwochs in der »Kogge« treffen. Wahrscheinlich Neukölln. Denn wie man auf der Homepage vom BND lesen kann, müssen Leute, die sich als Residenten bewerben, »hervorragende Kenntnisse der Landessprache, einschließlich Dialekte«, aufweisen. Die hat er, was Neukölln betrifft.

Ist es wahr, dass man sich in den USA beim Finanzamt als Spion anmelden muss, wenn man spionieren will? Ja, sagt Joachim, und das haben die zehn Russen verbummelt. Wer sich nicht anmeldet, macht sich verdächtig. Das könne seinem Dienst nicht passieren, der sei auf Draht: Der hat den Fall der Berliner Mauer bereits an Kohl gemeldet, als es in den Zeitungen stand.

Sorgen macht sich Joachim, wie seine 6000 Kollegen zu ihren Schreibtischen in der Chausseestraße kommen – und abends zurück. Man kann nicht tausende Geheimdienstler morgens um sieben an der Friedrichstraße in die U-Bahn quetschen, ohne dass sie sich mit wütenden Flüchen wie »Sie stehen auf meinem Fuß – das kommt in Ihre Akte« oder »Bei der Stasi war es besser« dekonspirieren. Joachim raunt: »An einer Tunnellösung wird fieberhaft gearbeitet. Und auch daran, wie die Mitarbeiter, die unter Tage anreisen, die lebensnotwendige Dosis an Tageslicht empfangen.« Ja, wie eigentlich? Das sagt Joachim erst, wenn einer noch 'ne Runde bestellt. Er selbst ist erst wieder dran, wenn jemand seinen Decknamen errät. Das kann dauern.

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