Aufarbeitung geht anders

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie macht man eigene Fehler vergessen, die den meisten Menschen unweigerlich bekannt sind? Man macht den Gabriel. Der SPD-Parteichef hat im ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus ein paar Bemerkungen gemacht, die sich in anschließenden Meldungen so lesen, als habe er Fehler der eigenen Partei in der Politik der letzten Jahre eingeräumt. Doch Gabriel hat nur die verschwiemelten Eingeständnisse wiederholt, zu denen er sich auf dem Dresdner Parteitag aufgerafft hatte – damals unter dem tosenden Beifall seiner überraschten Genossen, die er von sich überzeugen wollte, weil sie ihn kurz darauf zum Parteichef wählen sollten. Gabriel kriegt es immer wieder fertig, in demütiger Pose um ein paar Beliebtheitspunkte zu buhlen. Indem er so tut, als seien die in Deutschland wuchernden Auswüchse des Neoliberalismus anderen Parteien anzulasten – der SPD jedenfalls nur in Form »früherer Regierungen mit sozialdemokratischer Beteiligung« wie er nun in der ARD erklärte.

Ja, die SPD war beteiligt und zwar maßgeblich. Mit vielen noch heute maßgeblichen Politikern erst in der rot-grünen Bundesregierung und dann in der Großen Koalition. Die SPD-Minister seien es, nicht die der Union, die in der Regierung die Arbeit machten, tönten führende Sozialdemokraten damals immer wieder gern.

Der SPD ist deshalb in erster Linie anzukreiden, was in Deutschland passiert ist, seit Hartz IV die Menschen in Armut, die Mittelschicht in Existenzängste gestürzt, seit ein breiter Niedriglohnsektor etabliert und die Rentenansprüche gekürzt wurden. Seit die Behörden die von Hartz IV Betroffenen quasi kostenlose Zwangsdienste verrichten lassen und gleichzeitig nach deren angeblich zu teuren Wohnungen greifen. Seit es einen immerwährenden Markt für Vorschläge der Politiker gibt, die sich nicht zu schade sind, über die Verwendung von Arbeitslosen im Hundeexkremenetsegment nachzudenken. Seit es wieder am Zustand der Zähne zu sehen ist, wo einer herkommt, weil das Gesundheitswesen einen Unterschied macht zwischen Arm und Reich. Seit in den Hochschulen der Anteil an den Elitenabkömmlingen wächst und Migranten sich mit dem System der Abwehr und Benachteiligung abzufinden gelernt haben. Und selbst wenn man einkalkulieren muss, dass die jetzige Regierung jene mit SPD-Beteiligung nun künftig noch in den Schatten stellen könnte, ist die Sozialdemokratie auch hieran beteiligt. Weil sie die Dämme niedergerissen hat, über deren Überwindung Schwarz-Gelb nun gar nicht mehr nachdenken muss.

Schwer zu sagen, ob Sigmar Gabriel einen verspäteten oder vorauseilenden Versuch des Wählerbetrugs begeht, wenn er es den »vielleicht schwersten Vorwurf« nennt, den man Sozialdemokraten machen könne, dass es »nicht gelungen« sei, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. Es ist nicht nur nicht gelungen, es ist gar nicht versucht worden, denn die Schere wurde sehenden Auges und gegen den Widerstand nicht nur der Betroffenen, sondern auch der verachteten Partei DIE LINKE im Bundestag gewaltsam geöffnet. Manch Sozialdemokrat dürfte überdies sauer sein, dass Gabriel ihn mit in Haftung nimmt – immerhin haben viele Menschen die Partei dieses Namens genau deshalb verlassen.

So kommt es, dass Gabriel nun einen höheren Spitzensteuersatz fordert und die Eindämmung der Leiharbeit, um den »gigantischen Niedriglohnsektor« zurückzudrängen. Gigantisches Wortgeklingel. Eine Aufarbeitung des SPD-Anteils an der trüben Lage sieht anders aus.

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