Wohnungen für Flüchtlinge sind knapp
Erstmals seit 2001 eröffnet wieder ein neues Asylbewerberheim in Berlin
Der Berliner Senat ist auf dem besten Weg, sich von einem Reformprojekt zu verabschieden: Die Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen statt in Wohnheimen. Nach Angaben des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) konnten im vergangenen Jahr nur noch 44 Prozent der Asylbewerber nach Auszug aus der Erstaufnahmestelle in der Spandauer Motardstraße in eine Wohnung ziehen. Die anderen mussten in Wohnheimen untergebracht werden. Der Grund: Preiswerter Wohnraum wird knapp in Berlin. Letzte Woche eröffnete in Marzahn erstmals seit Jahren wieder ein neues Asylbewerberheim mit 100 Plätzen. In einem heruntergekommenen Gebäude sind die Asylbewerber gemeinsam mit deutschen Obdachlosen untergebracht. Da die Plätze immer noch nicht reichen, ist das Landesamt für Gesundheit und Soziales mit weiteren Vermietern in Verhandlung über die Eröffnung neuer Asylheime.
Als SPD und PDS 2001 erstmals eine gemeinsame Koalition in Berlin bildeten, durften Asylsuchende in Wohnungen ziehen. Gegen konservativen Widerstand, denn die CDU wollte mit der Heimunterbringung den Standort Berlin für Asylsuchende möglichst unattraktiv machen. Übrig blieb die Erstaufnahmestelle in der Motardstraße, denn die ersten drei Monate ist laut Bundesrecht eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften zwingend vorgeschrieben. Hinzu kamen einige kleine Heime.
Doch die Situation hat sich verändert, ohne dass Rot-Rot bisher dagegengesteuert hat. Der Trend zum Rückgang der Asylbewerberzahlen kehrte sich seit 2006 um. Im vergangenen Jahr kamen 3896 neue Asylsuchende nach Berlin, 87 Prozent mehr als noch 2008. Vor allem deutlich mehr Vietnamesen, Tschetschenen und Afghanen kommen nach Berlin. Auf der anderen Seite nimmt der Wohnungsleerstand ab. In Berlin stehen nur noch 3,6 Prozent der Wohnungen leer. Silvia Kostner vom LAGeSo: »Während große Familien von Asylbewerbern immer noch passende Wohnungen finden, ist der Markt für preiswerte kleine Wohnungen zusammengebrochen.« Alleinstehende Menschen oder Kleinfamilien finden nichts mehr in einer Preislage, in der das Sozialamt die Kosten übernimmt.
Statt in solche Wohnungen zu investieren, investiert das Landesamt aber lieber in neue Heime und zwar an der Politik vorbei. Die Oppositionspolitikerin Canan Bayram (Grüne) fordert: »Der Senat muss Lösungen für die Unterbringung von Asylbewerbern in Wohnungen suchen.« Sie verweist auf eine Studie der Landeskommission gegen Gewalt. »Die sagt aus, dass die Unterbringung in Lagern während der Kindheit zu Verrohung führen kann und die Gefahr besteht, dass dadurch neue sogenannte migrantische Serientäter entstehen. Wenn der Senat diese Erkenntnis hat, muss er doch alles tun, um zu verhindern, dass Kinder in Gemeinschaftsunterkünften aufwachsen.«
Martina Mauer vom Flüchtlingsrat ergänzt: »Besonders kritikwürdig ist die gemeinsame Unterbringung von Asylbewerbern mit Obdachlosen, die häufig alkoholkrank sind. Das ist kein Umfeld, in dem Kinder und schwangere Frauen leben können.« Sie hat auch gleich ein paar Vorschläge parat, was der Senat tun kann: »Er soll Wohnberechtigungsscheine an Flüchtlinge ausstellen, so dass die auch in Sozialwohnungen eine Chance haben. Er muss die Wohnungskautionen übernehmen, denn oft scheitern Mietverträge, weil Asylsuchenden dieses Geld fehlt. Und er muss mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften über Kontingente verhandeln. Wozu haben wir sonst die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften?«
Karin Rietz, Sprecherin von Sozialsenatorin Carola Bluhm (LINKE) betont, dass es keinen Politikwechsel in diesem Bereich gibt. »Es ist nach wie vor Politik des Senats, Asylbewerber vorrangig in Wohnungen unterzubringen. Die veränderte Situation auf dem Wohnungsmarkt macht das schwieriger. Wir sind auf der Suche nach Lösungen.«
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