Utopien für die Hauptstadt
Die Ausstellung »Ungebautes Berlin« zeigt Visionen und Größenwahnsinniges
Willkommen in Berlin-Wolkenkuckucksheim: Kaum eine Metropole hat Architekten so stark zu Utopien verleitet wie die deutsche Hauptstadt. Ob Ludwig Mies van der Rohes Glasturm an der Friedrichstraße aus dem Jahr 1921, Le Corbusiers verkehrsberuhigte »Gartenstadt« oder Daniel Libeskinds Flügelbau über dem Potsdamer Platz – in den vergangenen hundert Jahren bot sich Berlin der internationalen Architekten-Elite als riesiges Experimentierfeld an. Im Café Moskau an der Karl-Marx-Allee, ein reales Fragment sozialistischer Bau-Visionen, gibt jetzt bis zum 15. August eine Ausstellung mit mehr als 100 nicht realisierten Plänen, Skizzen und Modellen aus den Jahren 1907 bis 1997 Auskunft über das »ungebaute Berlin«.
Der Ort könnte kaum besser ausgesucht sein. Durch die Glasfenster der einstigen DDR-Gaststätte geht der Blick auf die renovierten Ost-Plattenbauten. Etwas weiter weg breiten sich Hermann Henselmanns Zuckerbäcker-Hochhäuser aus, Rumpf einer Stadtgestaltung nach Moskauer Vorbild.
Immer wieder war es Berlin als »größte Mietskasernenstadt der Welt«, die Baumeister aus Europa und den USA zu ihren radikalen Entwürfen einlud. »Die Architekten wurden angetrieben von dem Wunsch, die Stadt für die Menschen besser zu gestalten«, sagt Carsten Krohn, der die Ausstellung mit 40 000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds sowie Sponsorengeldern zusammenstellte. Eine Videoinstallation im Keller lässt 29 Architekten über ihre Berlin-Projekte zu Wort kommen – von Rem Koolhaas bis Peter Eisenman. Während sich etwa das Zentrum von Paris seit dem 19. Jahrhundert wenig verändert hat und New York kaum etwas anderes zulässt als Wolkenkratzer, wurde Berlin Reißbrett des zeitgenössischen Städtebaus.
Auch wenn sie alle später in der Schublade verschwanden: Von Beginn an nahmen viele nicht realisierte Vorhaben die Probleme der Stadt vorweg, wie etwa Joseph Maria Olbrichs verkehrsgünstiger Pariser Platz von 1907. Die an das Brandenburger Tor angrenzenden Häuser, darunter Max Liebermanns Residenz, sollten nach Olbrichs Vorstellung abgerissen werden, um den Weg für den Autoverkehr freizumachen. Heute ist der Platz eine Fußgängerzone, Autos und Busse zwängen sich durch Nebenstraßen.
Nach den Gründerjahren und dem Kaiserreich, während der NS-Zeit oder nach dem Zweiten Weltkrieg – Berlin suchte in den historischen Umbrüchen auch seine neue Gestalt. Auch nach dem Mauerfall, der die »kritische Rekonstruktion« einleitete – »die Neuerfindung der Stadt« zieht sich durch die Geschichte Berlins, sagt der Architekt und Ausstellungskurator Krohn.
Es ging aber auch um ideologische Kämpfe. Eine »Geschäftsstadt«, wie sie Ludwig Hilberseimer 1928 mit seinen Hochhäusern am Gendarmenmarkt vorschwebte, kollidiert etwa mit den Gedanken des Philharmonie-Architekten Hans Scharoun und seinen »organischen Strukturen«. In seinem Grundriss liegen die Gebäude wie mit dem Salzstreuer verteilt auf einer ansonsten leeren Fläche zwischen Tiergarten und Alexanderplatz. Da mutet Albert Speers »totale Planung« der gigantomanischen Reichshauptstadt der Nationalsozialisten »Germania« mit einer »Halle des Volkes« sowie Parade- und Militärachsen in alle Himmelsrichtungen eher bieder und brutal an – für das Lieblingsprojekt Adolf Hitlers wurden Hunderte Wohnungen und Villen im Tiergarten geschleift.
Später gab es auch den Plan für einen überbauten Kurfürstendamm von Jürgen Sawade und eine riesige Ost-West-Treppe über dem Brandenburger Tor von Robert Venturi und Denise Scott Brown. Über viele Entwürfe ist das Gras der Geschichte gewachsen. Die Idee, die Mauer von der Ost- und Westseite zu überbauen, lässt heute etwas schmunzeln. Doch manche Visionen könnten sich als zukunftstauglich erweisen.
Oswald Mathias Ungers' antiurbanes »Grünes Stadtarchipel« von 1977 beruht zwar auf der Annahme, Berlin würde bald nur noch 1,7 Millionen Einwohner haben. Doch sein Vorschlag, angesichts rückläufiger Bevölkerungszahlen ganze Stadtteile abzureißen und die Wohnsituation der verbliebenen Menschen zu verbessern, könnte in den »schrumpfenden Städten« Ostdeutschlands Realität werden.
Auch für den Umgang mit großen Brachen und leer stehenden Gebäuden, etwa mit dem Tempelhofer Feld oder demnächst mit dem Flughafen Tegel, könnten die Luftschlösser aus der Ausstellung wichtige Ideen geben. Dagegen droht manchem aktuellen Projekt wie dem Berliner Schloss das Schicksal der anderen ungebauten Architektur Berlins.
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