DGB kritisiert Senatsbedingungen für Pflichtpraktika
Gewerkschaft fordert 300 Euro Entlohnung / Rot-Rot verweist auf neu eingeführte »faire Umgangsformen«
Der Studiengang Verwaltungsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin zeichnet sich durch Interdisziplinarität und fachliche Vermittlung aus. Wer sich als Studierender für diesen Studiengang entschließt, ist nach dem Abschluss prädestiniert, in der öffentlichen Verwaltung als IT-Fachkraft zu arbeiten. Im 5. Semester gilt es allerdings, ein 24-wöchiges Praktikum zu absolvieren, so schreibt es die Studienordnung der HWR vor. Ähnlich lautet es im Studiengang Öffentliche Verwaltungswirtschaft.
Besonders für diese Studierenden der Hochschule für Wirtschaft und Recht hat sich gestern der DGB-Berlin-Brandenburg (DGB) stark gemacht. »Vielen Studierenden fehlt durch verpflichtende Praktika die Zeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen«, kritisierte die DGB-Bezirksvorsitzende Berlin-Brandenburgs, Doro Zinke. Sechsmonatige Praktika, so Zinke, würden deshalb zu sozialer Ausgrenzung von Studierenden aus finanzschwachen Familien führen. Dass ausgerechnet das Land Berlin von solchen Praktika profitiert, die für sechs Monate nicht honoriert werden, sei im Bundesvergleich neben Brandenburg und Sachsen-Anhalt einmalig. In den anderen Bundesländern wäre es dagegen üblich, die Studierenden in ein Anwärterverhältnis auf Widerruf aufzunehmen. Damit würden sie jedenfalls für die Dauer ihres Studiums »Anwärterbezüge« zwischen 900 bis 1000 Euro monatlich erhalten. Angesichts dessen wären in Berlin 300 Euro nicht zu viel verlangt, meint Zinke. Schließlich erbringen die »Praktikantinnen und Praktikanten, die Vollzeit in der Verwaltung mitarbeiten, eine erhebliche Arbeitsleistung, auch wenn sie noch im Studium sind«.
Der Berliner SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier verweist im Zusammenhang mit der Gewerkschaftskritik auf die verbindlichen Regelungen für »Faire Bedingungen für Praktikantinnen und Praktikanten«, die das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen aller Fraktionen Ende Februar beschlossen hat. »Wir wollten die Ausbeutungspratika im Landesdienst und bei den Landesunternehmen einschränken«, sagt Kohlmeier gegenüber ND. Ausnahmen seien allerdings Praktika in Rahmen von Ausbildungsgängen und Studiengängen wie bei der HWR. Diese Studierenden würden aber auch Förderungen wie BAföG bekommen. Deshalb wäre aus Kohlmeiers Sicht der nächste Schritt, die Berliner Wirtschaft und die IHK zur Übernahme der Praktikumsrichtlinien zu bewegen.
Dass die Ende Februar beschlossenen Praktikumsrichtlinien für den Landesdienst und die hundertprozentigen Landesunternehmen umgesetzt werden, belegt unterdessen eine Mitteilung der Senatskanzlei von Ende Juni. Aus dem Bericht geht hervor, dass »diese Grundsätze in den betreffenden Verwaltungen bereits jetzt weitestgehend umgesetzt werden«. Außerdem werden »in keinem Bereich Voll- oder Teilzeitstellen durch Praktikantinnen und Praktikanten ersetzt«.
»Die Berliner Praktikumsrichtlinien sind bundesweit einmalig«, meint der SPD-Abgeordnete Kohlmeier. Pflichtpratika sind davon allerdings ausgenommen.
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