Arzt als Medikament
Wirkung von Placebos soll besser erforscht und angewendet werden
Seit 2007 analysiert ein Arbeitskreis der Bundesärztekammer die Bedeutung von Placebos für die allgemein medizinische Praxis unter Berücksichtigung juristischer und ethischer Probleme. Die Bemühungen zielen dabei auf einen umfassenden Placebobegriff, der alle Behandlungsfelder einbezieht. Dazu gehört die Erforschung chirurgischer Placebos – darunter versteht man beispielsweise eine vorgetäuschte Operation – genau so wie Scheinakupunktur oder die manuelle Medizin. Die allgemeine Frage lautet: »Wie kommt ein Placeboeffekt zustande?« Aber im Focus steht auch die Persönlichkeit des Arztes, und welche Rolle Vertrauen, Empathie, Fachkompetenz oder gar ökonomische Faktoren wie billige und teure Pillen spielen.
Inzwischen ist belegt, dass Placebos in der therapeutischen Praxis eine große Bedeutung gewonnen haben. Aus diesem Grund ist beabsichtigt, auch in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung darauf mehr einzugehen, hieß es kürzlich auf einem Symposium zum Thema Placebo in Berlin. Nach Aussage von Dr. Rainer Schmidt, Mitglied des Arbeitskreises Placebo bei der Bundesärztekammer, lautet die Botschaft: »Entscheidend ist, was am Ende einer Therapie herauskommt.« An und für sich sei der Arzt selbst schon ein Placeboeffekt. Könne der Arzt nachempfinden, wie es dem Patienten geht, dann verstärkt das den Placeboeffekt, meint auch Dr. Klaus Linde vom Institut für Allgemeinmedizin aus München. Umfragen ergaben, dass 17 bis 80 Prozent der Ärzte und 51 bis 100 Prozent der Pflegekräfte mindestens einmal ein sogenanntes reines Placebo angewendet haben. Reine Placebos enthalten lediglich Füllstoffe wie Milchzucker oder Stärke, aber keinen Wirkstoff.
Unreine Placebos – sie enthalten Wirkstoffe in geringen Dosen und üben dadurch keinen therapeutischen Effekt aus – werden nach Meinung des Experten deutlich häufiger verwendet. Schätzungen seien unmöglich, da eine Definition nicht gegeben werden kann. Während in der Primärversorgung auf Wunsch des Patienten oft unreine Placebos verschrieben werden, zum Beispiel Antibiotika bei Erkrankungen der oberen Luftwege, sind für die Gabe von reinem Placebo folgende Indikationen wichtig: Schmerzen, Schlafstörungen, Angst und Abhängigkeitsprobleme. Die Komplementärmedizinerein Claudia Witt von der Berliner Charité berichtete von einem Test an180 Patienten mit Kniegelenkarthrose. Bei zwei Gruppen wurde ein wirklicher operativer Eingriff gemacht, bei einer Gruppe eine Operation vorgetäuscht. Im Ergebnis stellte sich heraus, dass sich die Patienten aller drei Gruppen besser fühlten. In einer anderen Studie wurden depressive Patienten in zwei Gruppen eingeteilt – die Placebogruppe und die Nicht-Placebo-Gruppe. Acht Wochen später konnte man keinerlei Unterschiede feststellen. Aber, »man kann nicht alles mit Placebo heilen«, bremst Dr. Rainer Schneider vom Psychologischen Institut Osnabrück die Euphorie.
Wichtig ist auch, dass bei der Gabe von Schmerzmitteln mit spezifischen Wirkstoffen am Ende die Gruppe schmerzfrei ist, die weiß, dass sie ein Schmerzmittel bekommen hat. Die andere Gruppe, die mit dem Schmerzmittel behandelt wurde, ohne es zu erfahren, fühlte sich weniger gut. Daraus ergab sich für die Experten, dass Placebos wirkungsvoller sind, wenn sie bewusst eingenommen werden. Hier erweist sich wieder, dass die Kommunikation bei der Behandlung gesundheitlicher Beschwerden eine große Rolle spielt. Das müssen Ärzte nach Ansicht der Experten noch besser lernen.
Lücken in der studentischen Ausbildung sollen mit Beginn des Wintersemesters 2010 / 2011 in einem Modellstudiengang Medizin der Charité geschlossen werden. Hier werden eine konsequente Schulung der ärztlichen Kommunikationsfähigkeit sowie die Vorbereitung junger Ärzte auf die beruflichen Anforderungen das Studium erweitern, denn »wenn der Arzt gut kommunizieren kann und in einer Form erscheint, die gut ankommt, dann ist er selbst ein Wirkverstärker – ein Placebo«, versichert der Leiter der Projektsteuerungsgruppe für den Modellstudiengang Prof. Dr. Harm Peters.
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